Trassenprioritäten im Nord-Süd-Verkehr

Bern, 15.11.2001 - Auf der Nord-Süd-Achse sollen über lange Distanzen verkehrende Güterzüge in der Fahrplanpriori-tät den Regionalzügen gleichgestellt werden. Zu diesem Schluss kommt eine Studie, welche die SBB zusammen mit der BLS im Auftrag des Bundesamts für Verkehr (BAV) erstellt haben. In drei Schritten lässt sich die Kapazität über die Gotthard- und Lötschberg-Achsen je nach Mass-nahmenpaket und Umfang der Investitionen gesamthaft um 150 bis 200 Züge im Tag steigern. BAV-Direktor Max Friedli und der Vorsitzende der SBB-Geschäftsleitung, Benedikt Weibel, haben den Bericht heute der Nationalen Konferenz im öffentlichen Verkehr (KöV) vorgestellt. In einer ersten Wertung hielt das BAV fest, dass die für die Verlagerung des Güterverkehrs von der Strasse auf die Schiene notwendigen Kapazitätssteigerungen vorrangig mit einer integrierten Planung beider Verkehrsarten möglich sein müsse und zu keinen Qualitätseinbussen im Regionalverkehr führen dürfe.

Wenn der Schwerverkehr im gewünschten Umfang von der Strasse auf die Schiene verlagert werden soll, sind Kapazitätsengpässe auf dem schweizerischen Schienennetz absehbar. Diese liegen nicht auf den transalpinen Strecken, die mit den Basistunnels am Lötschberg und am Gotthard einen kapazitätsmässigen Quantensprung erfahren werden. Vielmehr sind die Kapazitätsprobleme - bei den Grenzübertritten in Terminals sowie in jenen Bahnverkehrsknoten auszumachen, die sowohl vom Güter- wie auch Personenfern- und Nahverkehr stark frequentiert werden. Eine konsequente Priorisierung des Güterverkehrs im Interesse der Verkehrsverlagerung führt jedoch zu einem Zielkonflikt, da die Qualität des Regionalverkehrs hoch gehalten werden muss. Laut Untersuchungsresultaten der SBB und der BLS ist es aus heutiger Sicht nicht notwendig, dem Güterverkehr grundsätzlich den Vorrang vor dem regionalen Personenverkehr zu geben, um die Transportkapazitäten erhöhen zu können. Erste Kapazitätssteigerungen können bereits mit einer Optimierung der Betriebsabläufe erreicht werden. Um alle Möglichkeiten nutzen zu können sind jedoch punktuelle Investitionen in die Infrastruktur unumgänglich.

Engpässe und neuralgische Stellen des Bahnnetzes

Die Kapazitäten auf zentralen Streckenteilen der Nord-Süd-Achsen sind mit den im Rahmen der ersten Etappe von Bahn 2000 geplanten Angebotsverbesserungen weitgehend ausgeschöpft. Als besondere Engpässen gelten neben den Grenzbahnhöfen die Region Basel, die Linie Cadenazzo - Luino, der Raum Bern und das Oberwallis.

Keine generelle Bevorzugung des Güterverkehrs notwendig

Eine generelle Priorisierung des Güterverkehrs auf der Gotthardachse ist aus der Sicht der SBB nicht nötig, um die Kapazitäten für den Güterverkehr auf der Schiene zu erhöhen. Sie empfehlen hingegen für die Nord-Süd-Achse eine Gleichstellung des Güterverkehrs über lange Distanzen mit dem Regional- und Agglomerationsverkehr.

Priorisierung des Güterverkehrs auf der Gotthardachse - Konsequenzen?

Wenn der Güterverkehr auf der Gotthardachse mit Priorität behandelt würde, hätte dies massive Auswirkungen auf bestehende und künftige Angebote im Personenverkehr und brächte mittelfristig relativ geringe Kapazitätsgewinne für den Güterverkehr. Die SBB schlagen hier vor, dass mit flexibler Planung im Rahmen des Gesamtfahrplans die einschlägigen Vorschriften so angepasst werden können, dass über lange Distanzen fahrende Güterzüge in der Priorität den Regional- und S-Bahnzügen gleichgestellt werden, ohne die Qualität im Regionalverkehr zu verschlechtern. In Einzelfällen - zum Beispiel auf der Linie Cadenazzo - Luino - wäre ein Ersatzverkehr mit Bussen möglich, sofern der Bedarf an Trassen für den Güterverkehr ansteigen würde.

3 Massnahmenpakete zur Erhöhung der Trassenkapazitäten

Mit drei Massnahmenpaketen sind aus der Sicht der SBB Kapazitätserhöhungen für den Güterverkehr realisierbar:

Paket 1:

Bahninterne Optimierungen wie das Ausdehnen der Betriebszeiten in den Rangierbahnhöfen, Vertaktung des Güterverkehrs, Anpassung der Prioritäten und Ersatz von Regionalzügen durch Busse, höhere Geschwindigkeiten und schwerere Lasten für Güterzüge, weniger Grenzadministration, kein Lokomotivwechsel in den Grenzbahnhöfen.

Paket 2:

Investitionen von 500 bis 600 Mio Franken in die Grenzbahnhöfe und Umschlagterminals. Zum Beispiel für eine multifunktionale Betriebsanlage und eine 2. Rheinbrücke in Basel (falls kein By-pass), die Erneuerung der Ablauf- und Sicherungsanlage in Basel Rangierbahnhof, zusätzliche Überholgleise in den Räumen Basel, Bern und Visp sowie eine Kapazitätssteigerung der Strecke Cadenazzo-Luino.

Paket 3:

Massnahmen zur Leistungssteigerung auf kapazitätskritischen Strecken im Umfang von drei bis vier Milliarden Franken. Diese Investitionen sind teilweise in den derzeit erarbeiteten Angebotskonzepten von Bahn 2000, 2. Etappe, enthalten und dienen der Kapazitätserweiterung sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr. Durch diese drei Ausbauschritte lassen sich folgende Kapazitätssteigerungen erzielen:

Anzahl Trassen Gotthard (heute ca. 150)

Anzahl Trassen Lötschberg (heute ca. 35)

1. Etappe

Gotthard + 35 bis 45 auf ca. 185 Trassen

Lötschberg + 10 bis 15 auf ca. 45 Trassen

2. Etappe

Gotthard + 30 bis 40 auf ca. 215 Trassen

Lötschberg + 60 bis 65 auf ca. 105 Trassen

3. Etappe

Gotthard + 15 bis 35 auf ca. 230 Trassen

Lötschberg + 15 bis 20 auf ca. 115 Trassen

SBB-Chef Benedikt Weibel betonte bei der Präsentation des Berichts, dass die Produktionsabläufe im Gütertransitverkehr auf der Schiene eng mit den Partnerbahnen DB und FS geplant werden müssen. Bei der Netzplanung im Rahmen von Bahn 2000, 2. Etappe, werde man zudem versuchen, die Bedürfnisse des Personenverkehrs und des Gütertransports so gut wie möglich zu entflechten. Dies entspreche der im EU-Weissbuch zum Schienenverkehr formulierten Forderung nach einem leistungsfähigen europäischen Schienennetz für den Güterverkehr.

Das BAV würdigt die Strategie der SBB positiv

Das BAV begrüsst in einer ersten Wertung des SBB-Berichts die erarbeiteten Lösungsansätze. BAV-Direktor, Max Friedli, betonte gegenüber den kantonalen Verkehrsdirektoren, dass der Abbau einzelner Regionalverkehrsangebote oder deren leichtfertige Umlagerung auf die Strasse zu Gunsten des Güter-verkehrs für den Bund keine Themen seien. Eine möglichst optimale Güterverkehrskapazität soll in erster Linie durch integrierte Planung der beiden Verkehrsarten erreicht werden. Hinsichtlich der aus der Sicht der SBB notwendigen Investitionen in das Schienennetz sind für das BAV noch nicht alle Fragen geklärt. Insbesondere lässt der SBB-Bericht noch offen, wie viel Trassenkapazität wo in welchen Zeitperioden fehlen. Sofern sich diese Investitionen jedoch als unumgänglich erweisen, sind sie soweit als möglich in die bestehenden Finanzgefässe (Leistungsvereinbarungen, Bahn 2000 2. Etappe) zu integrieren. Abschliessend hielt der Direktor des BAV fest, dass die Frage nach der Priorisierung des Güterverkehrs auf dem Schienennetz nicht kurzfristig entschieden werden kann, denn der Agglomerationsverkehr geniesse nach wie vor hohe Priorität und der S-Bahn-Verkehr soll auch in Zukunft in Verkehrsknotenpunkten nicht schlechter gestellt werden. Trotzdem muss die Kapazität auf dem Schienennetz erhöht werden, wenn die Verlagerung des Güterverkehrs von der Stra-sse auf die Schiene im geforderten Umfange gelingen soll. Diesen Zielkonflikt gilt es mit kreativen Ansätzen aufzulösen.


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Bundesamt für Verkehr
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