Wirtschaftliche Lage der Pensionierten und Erwerbstätigen gleicht sich an, Armutsrisiko verlagert sich

Bern, 10.04.2008 - Eine umfassende Studie hat die wirtschaftliche Situation von nahezu 1,5 Millionen Personen zwischen 25 und 99 Jahren in der Schweiz untersucht. Sie zeigt deutlich, dass es der grossen Mehrheit von Rentnerinnen und Rentnern heute wirtschaftlich gut geht und nur sehr wenige (rund 6%) von Armut betroffen sind. Das schweizerische Dreisäulensystem der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge erfüllt seine Aufgabe gut: Die Gruppe der 55- bis 75-Jährigen ist wirtschaftlich am besten gestellt. Hingegen sind ein Fünftel der Familien mit drei und mehr Kindern, rund 40% der alleinerziehenden Frauen, ein Viertel der alleinstehenden Frauen im Erwerbsalter und junge Invalide einem erhöhten Armutsrisiko ausgesetzt. Die Studie von Professor Philippe Wanner (Universität Genf) im Auftrag des Bundesamts für Sozialversicherungen gibt Denkanstösse für die Sozialpolitik: Sollte die Generationensolidarität in der Finanzierung der AHV mit einem – noch zu definierenden – Solidaritätsbeitrag der Gruppe der Rentner/innen ergänzt werden? Müssen die Rahmenbedingungen für junge Familien, Alleinerziehende oder Alleinstehende verändert werden, damit sie ihr Erwerbseinkommen erhöhen können?

Die Studie "Die wirtschaftliche Situation von Erwerbstätigen und Personen im Ruhestand" hat die wirtschaftliche Lage von nahezu 1,5 Millionen Personen in der Schweiz im Alter zwischen 25 und 99 Jahren im Jahr 2003 untersucht. In der Studie werden erstmals in diesem Umfang Daten sowohl zur Einkommens- als auch zur Vermögenssituation ausgewertet. Damit stellt sie in Ausmass und Präzision die bisher bedeutendste Analyse ihrer Art dar. Verwendet wurden Daten aus den kantonalen Steuerregistern von AG, NE, SG, VS und ZH, kombiniert mit Daten aus dem AHV-Register. Das Bundesamt für Sozialversicherungen als Auftraggeber hat die Studie gemeinsam mit dem Autoren, Prof. Philippe Wanner von der Universität Genf, präsentiert und erläutert.  

Grösster Teil der Personen im Ruhestand geniesst hohe materielle Sicherheit

Die Untersuchung bestätigt, dass es den Rentnerinnen und Rentnern in der Schweiz im Vergleich mit dem Rest der Bevölkerung finanziell im Grossen und Ganzen gut geht. Nur wenige von ihnen sind von Armut betroffen, was als Erfolg des schweizerischen Dreisäulensystems gewertet werden kann. Erstmals lässt sich auch die Bedeutung der Erwerbsarbeit über das Rentenalter hinaus belegen: Neben den Altersleistungen aus den Sozialversicherungen beziehen ein Drittel der 65- bis 69-Jährigen noch ein Erwerbseinkommen (rund 10'000 Franken pro Jahr). Ein grosser Teil der Personen im Ruhestand verfügt zudem über Einkommen aus Vermögen. Letzteres erreicht über alle Alterskategorien hinweg kurz nach dem Rentenantritt den höchsten Stand. Fast jedes fünfte Rentnerpaar verfügt sogar über ein Bruttovermögen von über einer Million Franken. 

Das Armutsrisiko verlagert sich

Ein Armutsrisiko besteht heute vor allem bei einzelnen Gruppen von Erwerbstätigen unter 50 Jahren. Die vorliegende Studie zeigt, dass Familien mit drei oder mehr Kindern überproportional häufig nur über geringe finanzielle Mittel verfügen. Zwei weitere Risikogruppen bilden alleinerziehende bzw. alleinstehende Frauen: 40% der alleinerziehenden und ein Viertel der alleinstehenden Frauen müssen ebenfalls mit geringen finanziellen Mitteln über die Runden kommen. Es bleibt allerdings offen, ob nicht zumindest ein Teil der Alleinerziehenden und Alleinstehenden zusätzlich von Angehörigen oder von einem Partner unterstützt werden, was sich aus den Steuerdaten nicht ablesen lässt. Nicht zuletzt hat die sehr breit angelegte Studie erneut bestätigt, dass das durchschnittliche Erwerbseinkommen von Frauen jeden Alters systematisch tiefer liegt als jenes von Männern.  Eine vierte Bevölkerungsgruppe schliesslich erfordert ebenfalls sozialpolitische Aufmerksamkeit: IV-Rentenbeziehende unter 40 Jahren. Dank den Ergänzungsleistungen leben sie zwar in der Regel nicht in Armut. Aber während sich die finanzielle Situation der Mehrkindfamilien und Alleinerziehenden mit zunehmendem Alter der Kinder tendenziell entspannen dürfte, haben junge IV-Rentnerinnen und -Rentner unter Umständen kaum eine Chance, ihre wirtschaftliche Situation verbessern zu können.  

Denkanstösse für die Sozialpolitik

 Die Studie zeigt eine Momentaufnahme und ist daher mit der nötigen Vorsicht zu interpretieren. Dennoch weisen ihre Ergebnisse darauf hin, dass bei künftigen Reformen zur Sicherung des langfristigen finanziellen Gleichgewichts der AHV die Massnahmen nicht nur die demographische Entwicklung, sondern immer auch ihre Auswirkungen auf die Einkommensverteilung zwischen den Generationen berücksichtigen müssen. Werden einzig die Erwerbstätigen zugunsten der Pensionierten belastet, so werden dadurch auch Personengruppen eingebunden, die nur über sehr geringe Mittel verfügen. Ein Solidaritätsbeitrag der Gruppe der Personen im Ruhestand würde diesem Umstand Rechnung tragen, müsste aber noch genauer definiert werden. Schliesslich sprechen die Resultate der Studie dafür, im Reformprozess die Wirkung der mit zunehmendem Alter steigenden Altersgutschriften in der 2. Säule zu bedenken.  Die AHV wird auch künftig zur Hauptsache von den Beiträgen der Erwerbstätigen finanziert. Damit auch Familien mit Kindern, Alleinerziehende und Alleinstehende dazu beitragen können, müssen diese in die Lage versetzt werden, ein ausreichendes Erwerbseinkommen zu erzielen. Dies bedingt jedoch, dass sich die schul- und vorschulergänzende Kinderbetreuung vermehrt an den Bedürfnissen der Eltern orientiert und dass die steuerlichen Rahmenbedingungen nicht als Hemmschuh wirken.


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Leiter Geschäftsfeld Familien, Generationen und Gesellschaft, BSV

f/ 031 322 87 63 Jean-François Rudaz, Projektleiter
Bereich Forschung und Evaluation, BSV

078 806 28 69 Prof. Philippe Wanner, Université de Genève
Laboratoire de démographie et d'études familiales



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