Nano-Bio-Info-Cogno: Wenn Wissenschaftsdisziplinen verschmelzen

Dübendorf, St. Gallen und Thun, 06.12.2007 - In den modernen Naturwissenschaften verschwimmen die traditionellen Grenzen zwischen den einzelnen Disziplinen immer mehr, eine «echte» Interdisziplinarität führt dazu, dass mehrere Wissensgebiete miteinander verschmelzen. Vor allem im Grenzbereich zwischen den Nano-, Bio- und Informationstechnologien sowie den Kognitionswissenschaften tut sich einiges. Implantierbare Mikrochips, die dank Nano-Knowhow mit Körperzellen kommunizieren und die Daten an einen Computer weiterleiten, sind nur ein Beispiel. Mitte November trafen sich auf Einladung der Kommission für Ethik und Technik der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften (SATW) rund 30 Experten an der Empa in St. Gallen, um über die Konvergenz von «Nano-Bio-Info-Cogno» und die damit verbundenen ethischen Fragen zu diskutieren – etwa diejenige nach der «Verbesserung» des Menschen und unter welchen Bedingungen diese zulässig ist.

«Unser Ziel war es, die wichtigsten ethischen Fragen um die konvergierenden Technologien zu identifizieren und nun einzelne davon in weiteren Veranstaltungen zu vertiefen», erklärt Ulrich Lattmann, Vorsitzender der Kommission für Ethik und Technik der SATW und Organisator des Workshops.

Diese «Hausaufgaben» stünden jetzt an; genügend «Rohmaterial» habe das erste Treffen allemal geliefert. Unter anderem deshalb, weil die Teilnehmenden – dem Thema angemessen – aus den unterschiedlichsten Disziplinen kamen. Es sei äusserst erfreulich, dass sich alle vier Schweizer Akademien – neben der SATW die Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT), die Schweizerische Akademie der medizinischen Wissenschaften (SAMW) und die Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (SAGW) – an der Diskussion beteiligt haben, so Lorenz Hilty, Leiter der Empa-Abteilung «Technologie und Gesellschaft» und «Gastgeber» der Veranstaltung. «Dadurch hat sich ein echtes interdisziplinäres Meeting ergeben.»

Transhumanismus – Versuche, den Menschen zu «verbessern»

An brisanten Fragen mangelte es dann auch in der Tat nicht: Wo hört die Therapie auf, wo beginnt die menschliche Manipulation? Oder unter welchen Bedingungen ist eine bewusste Beeinflussung des menschlichen Bewusstseins, der menschlichen Identität wünschenswert, wann nicht? Welche Auswirkungen hat es, wenn sämtliche Gegenstände um uns herum «intelligent» und miteinander vernetzt sind – wenn wir also ein «Internet der Dinge» geschaffen haben und darin leben? Am Beispiel der «menschlichen Verbesserung» zeigte sich eine der Schwierigkeiten des Diskurses. «Solange wir über medizinische Therapien reden, gilt ein ethisches Heilungsgebot», so Lorenz Hilty. «So weit, so gut. Aber oft existiert nur eine dünne, unscharfe Grenze zwischen Therapie und Verbesserung.»

Doch obwohl der technische Fortschritt in Zukunft Möglichkeiten eröffnen dürfte, die noch vor wenigen Jahren nach Science Fiction klangen, sind viele der damit einhergehenden ethischen Fragen alles andere als neu, so der Tenor des Workshops. «Versuche, den Menschen zu «verbessern», sind praktisch so alt wie die Menschheit», sagte etwa Anders Sandberg vom Uehiro Centre for Practical Ethics an der Oxford University. Sandberg ist auch am von der EU finanzierten «ENHANCE»-Projekt beteiligt, das sich mit den ethischen und philosophischen Fragen des so genannten Transhumanismus beschäftigt. Im babylonischen «Gilgamesch»-Epos, dem ältesten «Roman» der Menschheit, gehe es etwa um Unsterblichkeit, «sozusagen die ultimative menschliche Verbesserung», so Sandberg. Zudem seien auch hier die Grenzen nicht ganz so scharf, wie man meinen könnte. «Wenn wir Kaffee trinken, steigert das Koffein unsere Konzentrationsfähigkeit. Allerdings denken wohl die wenigsten von uns beim Kaffeetrinken an menschliche Verbesserung», sagte Sandberg. Bei so genannten kognitionssteigernden Medikamenten wie das Psychostimulans Modafinil sei der Fall schon deutlicher. Dieses ursprünglich gegen Narkolepsie entwickelte Mittel wird heute – etwa von Studenten vor dem Examen – entgegen der Bestimmung im so genannten «off-label use» zur Steigerung des Erinnerungsvermögens eingenommen.

Die Schnittstelle zwischen Mensch und immer «intelligenteren» Maschinen im Brennpunkt

Auch auf dem Gebiet der Schnittstellen (oder Interfaces) zwischen Mensch und Maschinen hat die Zukunft bereits begonnen. «In einem Club in Barcelona können sich Gäste einen Chip implantieren lassen, mit dem sie sich ausweisen, den Eintritt und ihre Drinks bezahlen usw.», berichtete Arie Rip, ein Experte für Technologiefolgenabschätzung von der University of Twente. «Das ist eine reine Lifestyle-Angelegenheit – und der erste Schritt zum computerlesbaren Menschen.» A propos Computer: Wie diese uns bereits heute – also auch ohne technologische Konvergenz – beeinflussen, zeigen laut Anders Sandberg verschiedene Studien mit Kindern, die viel Zeit mit Computerspielen verbringen. «Computerspiele beeinflussen unser Sehvermögen», so Sandbergs Fazit. Kinder, die häufig am Computer spielten, wiesen ein verbessertes Sehvermögen in der Peripherie ihres Sichtfeldes auf. «Ob das nun gut oder schlecht ist, muss sich erst noch zeigen», so Sandberg.

Das Verhältnis von Mensch und (mehr oder weniger «intelligenten») Maschinen stand immer wieder im Zentrum der Diskussionen. Für Torsten Fleischer vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse am Forschungszentrum Karlsruhe geht es bei den konvergierenden Technologien um die Einbindung des Menschen in eine zunehmend technisierte Umwelt, also darum, dass der Mensch immer effizienter mit der Maschine kommunizieren könne – oder müsse. «Da drängt sich schon die Frage auf, wer denn da mit wem kommunizieren muss», so Fleischer. Karl Knop von der SATW sah dies ähnlich; konvergierende Technologien würden die Grenze zwischen belebter und unbelebter Natur gewissermassen durchlässiger machen. «Die ethische Herausforderung ist für mich: Dürfen wir diese Barriere ohne weiteres durchbrechen?»

Das Ziel: eine Art «Zehn Gebote für Naturwissenschaftler»

Letztlich waren sich am Ende dieses ersten Treffens alle darüber einig, dass für künftige Treffen anstelle von abstrakten Ethikdiskussionen eher konkrete Anwendungen wie Gehirnstimulation, «smarte» Materialien oder neue Identifikations- und Überwachungstechnologien ins Zentrum gestellt werden sollten, anhand derer sich dann konkrete Handlungsempfehlungen erarbeiten liessen. «Was wir benötigen, sind eine Art «Zehn Gebote für Naturwissenschaftler», ein Richtlinienkatalog dessen, was als gute und richtige Praxis erachtet wird», resümierte Thomas Stieglitz, Experte für biomedizinische Mikrotechnik an der Universität Freiburg im Breisgau.

 

Was sind konvergierende (oder konvergente) Technologien?Hinter dem Schlagwort der «konvergierenden Technologien» verbirgt sich ganz allgemein eine stärkere Verflechtung bzw. eine Fusion oder Verschmelzung verschiedener Wissensgebiete. Im engeren Sinn bezieht sich die Konvergenz auf vier zentrale technologisch-wissenschaftliche Gebiete – Nanotechnologie, Biotechnologie, Informationstechnologie und Kognitionswissenschaft. Die US-National Science Foundation veranstaltete im Jahr 2002 ein erstes Konvergenz-Meeting unter dem Titel «Converging Technologies for Improving Human Performance», bei dem die Aussichten auf grosse Verbesserungen der menschlichen Fähigkeiten, der gesellschaftlichen Leistung und der Lebensqualität, welche die Konvergenz hervorbringen soll, im Mittelpunkt standen. Dabei entstand auch die gängige Abkürzung «NBIC»-Konvergenz für Nano-Bio-Info-Cogno. Im Gegensatz zu den eher techno-optimistischen Stimmen aus den USA wurden in Europa auch Stimmen laut, die auf die Risiken der «verschmolzenen» Wissenschaften hinwiesen – und sinnigerweise die Abkürzung «BANG» (also Knall) prägten, die sich aus den Anfangsbuchstaben der «Rohstoffe» der einzelnen Disziplinen Bits, Atome, Neuronen und Gene ableitet.


Adresse für Rückfragen

Fachliche Informationen:
Prof. Dr. Lorenz Hilty, Empa, Technologie und Gesellschaft, Tel. +41 71 274 73 45, lorenz.hilty@empa.ch
Ulrich Lattmann, SATW, Tel. +41 62 295 46 85, ulrich.lattmann@yetnet.ch

Redaktion:
Dr. Michael Hagmann, Empa, Kommunikation, Tel. +41 44 823 45 92, michael.hagmann@empa.ch



Herausgeber

Eidg. Materialprüfungs- und Forschungsanstalt
http://www.empa.ch

https://www.admin.ch/content/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-16119.html