„Auge um Auge, Zahl um Zahl“ ist keine Antwort auf Gewalt von Jugendlichen

Bern, 16.02.2007 - Gewalt ist nicht primär ein Problem der Jugend und der Ausländer. Sehr wohl aber ist Gewalt männlich, in unserer Gesellschaft allgegenwärtig und ein Problem, das es gilt, ernst zu nehmen. Zurzeit verdrängen jedoch unseriöse Zahlenschlachten ernsthafte Auseinandersetzungen mit dem Thema; diese Gefechte führen nicht zu Lösungen. Die Eidgenössische Kommission für Kinder- und Jugendfragen (EKKJ) ruft zu einem differenzierten Umgang mit der Gewalt von Jugendlichen auf, denn simple Rezepte - sei es Dämonisierung oder Bagatellisierung - sind keine passenden Antworten darauf.

Zahlen und Prozentvergleiche dominieren die aktuelle Diskussion über Gewalt von Jugendlichen. Diese Zahlen beruhen auf Statistiken, die nur bedingt brauchbar und vergleichbar sind. Je nach FachexpertIn, werden sie seit jeher in die eine oder andere Richtung interpretiert oder für parteipolitische Aussagen missbraucht. Selbst das Bundesamt für Polizei weist auf die Mängel der jetzigen Kriminalstatistik hin. Repräsentative Täter- und Opferbefragungen, die die Realität besser als Polizeistatistiken wiedergeben, fehlen für die Schweiz. 

Eine sichere Erkenntnis gibt es: Gewalt von Jugendlichen ist ein komplexes Phänomen. Als mögliche, aber nicht zwingende Risikofaktoren seien genannt: sozioökonomische Benachteiligung, mangelnde berufliche Perspektiven, schwierige Familiensituation, Schulprobleme, Gewaltakzeptanz der Gesellschaft, allgegenwärtige Gewaltdarstellungen und Sexismus. Ganz allgemein gilt es zu bedenken, dass Gewalt oft aus selbst erlebter und erlittener Gewalt entsteht: viele der Täter sind und/oder waren ihrerseits Opfer. Eine zweite sichere Information: rund 87% der jugendlichen Gewalttäter sind männlich; trotzdem dominiert die Perspektive des Geschlechts keineswegs die öffentliche Polemik, obwohl die Übervertretung viel deutlicher ist, als jene der nationalen Herkunft. Nicht vergessen gehen sollte das Thema der Gewalt, die Kinder und Jugendliche gegen sich selber richten (Selbstmord, Selbstverstümmelung, Essstörungen).  

Wir leben in einer Gesellschaft, in der ein kühler wirtschaftlicher Wind bläst. Nicht alle sind dem steigenden Leistungsdruck gewachsen und bringen dieselben Startchancen mit. Arbeit (und der dafür erhaltene Lohn) ist einer der höchsten Werte unserer Gesellschaft. Da erstaunt es nicht, wenn arbeitslose Jugendliche das Gefühl haben, nicht gebraucht zu werden, keine Perspektiven und keinen Sinn im Leben zu haben. Fehlen liebende Menschen (Eltern, Freundeskreis, LehrerInnen, JugendarbeiterInnen) die einen Jugendlichen unterstützen, kann aus Sinnlosigkeit sinnlose Gewalt entstehen.  

Massnahmen: die reine Symptombekämpfung ist nicht angezeigt und sogar kontraproduktiv, denn Ausschluss führt zu noch mehr Gewalt. Vielschichtige Probleme erfordern vielschichtige Antworten. Wir müssen deshalb den Mut haben und akzeptieren, dass es keine einfachen Lösungen gibt; alles andere ist Illusion. Nur verschiedene Massnahmen, parallel verfolgt und von der ganzen Gesellschaft mitgetragen, können Wirkung zeigen: früher Zeitpunkt der Prävention (Frühwarnsystem, Vorschulbereich, Prävention bei Eltern); Förderung der Bildung, nicht nur im Bereich der elitären Bildung, sondern auch bei lernschwachen SchülerInnen; Förderung der Partizipation in allen Lebensbereichen; Verbesserung der Lehrstellensituation; Bekämpfung der Familienarmut; rasche Sanktionen. Ganz allgemein steht die EKKJ für eine Mehrsäulen-Strategie: Prävention, Beratung, strukturelle Massnahmen, Repression.  

Jede Gewalttat ist eine Gewalttat zuviel, sei sie von einem Jugendlichen oder einem Erwachsenen verübt. Vergessen wir aber nicht, dass es der grossen Mehrheit der Kinder und Jugendlichen in der Schweiz gut geht und sie zufrieden, engagiert und mitfühlend leben.  


Adresse für Rückfragen

Tel. 079 227 36 70 Pierre Maudet, Präsident EKKJ
Tel. 031 322 92 26 Marion Nolde und
Tel. 079 443 85 67 Andrea Ledergerber, Sekretärinnen EKKJ, Bundesamt für Sozialversicherungen, E-Mail: ekkj-cfej@bsv.admin.ch



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