«Die Erbschaftssteuer trifft den Bauernhof am Dorfrand oder die Bäckerei um die Ecke»

Der Bundesrat lehnt die Volksinitiative für eine nationale Erbschaftssteuer ab. Die Gründe für das Nein erklärt Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf im Gespräch mit dem Redaktionsteam der Bundeskanzlei.

Nein zur Erbschaftssteuerreform. Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf erklärt die Haltung des Bundesrates. Bern, April 2015.

Frau Bundesrätin, wer erbt, erhält Geld, ohne selber etwas dafür geleistet zu haben. Damit ist die Erbschaftssteuer eine der gerechtesten Steuern überhaupt. Weshalb lehnen Sie eine nationale Erbschaftssteuer trotzdem ab?
Möglicherweise wäre eine nationale Erbschaftssteuer fairer als andere Steuern. Die Frage ist: Wenn sie fairer ist, welche andere Steuer würde sie dann ersetzen? Die Einkommenssteuer, die Vermögenssteuer, die heute die Kantone erheben? Im Übrigen ist es so, dass es bereits eine Erbschafts- und Schenkungssteuer auf kantonaler Ebene gibt - zwar nicht mehr für Ehepartner und in den meisten Kantonen auch nicht für direkte Nachkommen. Aber es gibt sie. Die Erhebung der Erbschaftssteuer ist eine ureigene kantonale Kompetenz, und die Kantone erheben sie auch. Nicht in direkter Linie Verwandte und Dritte werden bereits besteuert. Ich denke, hier spielt dann die Fairness der Besteuerung.

Warum ist es Ihnen als Bundesrätin so wichtig, dass die Kantone die Kompetenz für diese Steuer behalten? Sie könnten sich doch freuen, wenn der Bund mehr zu sagen hätte?
Wir haben einen funktionierenden Föderalismus. Die Verschuldung des Staates ist in der Schweiz auch deshalb relativ gering, weil die Kantone eigene Finanzkompetenzen haben. Und ohne Finanzautonomie hätten wir auch keinen echten Föderalismus mehr. Obwohl die Initiative unterschiedliche Auswirkungen auf die einzelnen Kantone hätte, sprechen sie sich einmütig gegen eine nationale Erbschaftssteuer aus. Sie wehren sich zurecht für Ihre Autonomie.

Die allermeisten Menschen erben weniger als zwei Millionen Franken von ihren Eltern. Sie wären also von der neuen Erbschaftssteuer nicht betroffen. Weshalb sollen sie sie trotzdem ablehnen?
Gerade die Frage dieser Zwei-Millionen-Grenze kann sich stellen. Ist sie gerecht? Eine weitere Frage ist: Was passiert mit Unternehmen, mit der Landwirtschaft? Wie kann man die Erbnachfolge regeln, wenn so viel Nachlasssteuern bezahlt werden und gleichzeitig andere Erben ausbezahlt werden müssen – und dann auch noch Investitionsentscheide zu treffen sind. Ich denke, das wäre eine grosse Erschwernis für Unternehmensnachfolgen, auch bei Landwirtschaftsbetrieben. Dazu kommt, dass die neue Erbschaftssteuer für direkte Nachkommen und Dritte in gleicher Höhe erhoben würde. Da darf man sich durchaus die Frage stellen: Wäre das gerechtfertigt, wenn man direkte Nachkommen gleich belastet wie unbeteiligte, also vielleicht nicht einmal zur Familie gehörende Dritte. Immerhin haben Nachkommen und Ehepartner auch eine Unterstützungspflicht, familiäre Pflichten. Ich denke, hier würden sich dann auch Fragen der Gerechtigkeit stellen.

Doch wer an seinen Eigennutzen denkt, der wird der neuen Erbschaftssteuer zustimmen, wenn er selber keine reichen Eltern hat.
Die Bürgerinnen und Bürger sollten sich überlegen, wen es trifft. Es trifft den Bauernhof am Dorfrand oder die Bäckerei um die Ecke. In diesen Fällen würde im Erbfall die Übernahme durch die eigenen Kinder viel schwieriger. Es ist doch im Interesse von uns allen, solche Situationen zu vermeiden.

Genau dafür haben die Initianten vorgesorgt. Die Grenze von zwei Millionen sowie die Möglichkeit von Ausnahmen sorgen dafür, dass es eben nicht die Bäckerei um die Ecke trifft.
Wenn es viele Ausnahmen gibt, dann werden die Einnahmen weit kleiner als nun in Aussicht gestellt. Ohne Ausnahmen dürfte die neue Steuer etwa drei Milliarden Franken einbringen. Davon erhielten die Kantone rund eine Milliarde, was ihnen in der Summe gerade etwa die Einnahmen aus den heutigen kantonalen Erbschaftssteuern ersetzen würde. Das heisst: Grosszügige Ausnahmen führen zu Einbussen bei den Kantonen.

Aber sonst wären solche Ausnahmen doch sinnvoll und dürften im Parlament auch gute Chancen haben?
Davon bin ich überzeugt. Die Ausnahmen müssten grosszügig ausfallen, dazu bekennen sich selbst die Initianten. Auch das brächte allerdings zwei Probleme: Wo machen wir erstens die Abgrenzung? Und zweitens müssten am Schluss sehr wenige sehr viel Erbschaftssteuern bezahlen.

Genau das wollen die Initianten. Die Erbschafssteuer soll auch die Vermögenskonzentration in immer weniger Händen bekämpfen. Erachten Sie es nicht als Problem, dass die Vermögen immer ungleicher verteilt sind?
Aus meiner Sicht ist es besser, wenn das Vermögen breiter verteilt ist. Aber die Erbschafssteuer ist nicht das richtige Instrument, um das zu erreichen.

Von der neuen Erbschaftssteuer würden wir alle profitieren, weil der Grossteil der Erträge in die AHV fliessen würde. Weshalb wollen Sie der Altersvorsorge diesen Zustupf vorenthalten?
Die Frage ist: Wie viel käme der AHV zu Gute? Und: Würde damit das Problem der AHV gelöst? Ich kann es einfach sagen: Das Problem der AHV würde nicht gelöst, selbst wenn man davon ausgeht, dass der AHV rund zwei Milliarden zufliessen würden. Doch diese zwei Milliarden sind ein unsicherer Wert. Die Initianten sagen, wie erwähnt zurecht, man müsste im neuen System Unternehmen und Landwirtschaftsbetriebe entlasten, um Erbnachfolgen zu ermöglichen. Mit anderen Worten: Der errechnete theoretische Ertrag von insgesamt drei Milliarden würde rasch und stark schrumpfen. Nach dem Gesetzgebungsverfahren würde für die AHV am Schluss vielleicht noch eine Milliarde bleiben. Natürlich ist das nicht nichts. Aber im Vergleich zu dem, was wir pro Jahr für die AHV brauchen – 40 Milliarden –, kann man sicher sagen, dass wir damit keine Probleme gelöst, aber auf der anderen Seite auch neue Probleme geschafft hätten.

Sie kritisieren auch, dass die Regelung rückwirkend gelten würde, dass also Schenkungen ab Anfang 2012 besteuert würden. Doch ohne diese Klausel würden vor der Abstimmung noch Milliardenbeträge via Schenkungen verschoben.
Klar, aus Sicht der Initianten ist es wichtig, genau diesen Effekt zu verhindern. Wie nötig das wäre, zeigt im Übrigen die grosse Zahl von Schenkungen, die bereits die Lancierung der Initiative ausgelöst hat. Nur, im Vollzug würde die Rückwirkung einen riesigen Aufwand mit sich bringen. Ich wüsste nicht, wer das dann wie berechnen und nachvollziehen sollte. Eine solche Rückwirkung ist unverhältnismässig.

Unverhältnismässig? Hätte die Initiative also ungültig erklärt werden müssen?
Nein. Es geht ja um eine Verfassungsbestimmung und nicht um ein Gesetz. Daher ist eine solch weitgehende Rückwirkung zulässig.

Interview: Michael Brunner und René Lenzin

 

Letzte Änderung 01.06.2015

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