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CONFOEDERATIO HELVETICA
Die Bundesbehörden der Schweizerischen Eidgenossenschaft

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Förderung des Selbstbestimmungsrechts

EJPD schickt den Expertenentwurf für eine Totalrevision des
Vormundschaftsrechts in die Vernehmlassung

Bern, 26.06.2003. Das Vormundschaftsrecht soll grundlegend erneuert und
unseren heutigen Verhältnissen und Anschauungen angepasst werden.
Insbesondere soll das Selbstbestimmungsrecht schwacher und hilfsbedürftiger
Personen gefördert werden. Der Bundesrat hat am Mittwoch das Eidg. Justiz-
und Polizeidepartement (EJPD) ermächtigt, den Bericht und den von einer
Expertenkommission erarbeiteten Vorentwurf für eine Revision des
Zivilgesetzbuches in die Vernehmlassung zu schicken. Die Vernehmlassung
dauert bis zum 15. Januar 2004.

Das geltende Vormundschaftsrecht ist seit seinem Inkrafttreten im Jahr 1912
nahezu unverändert geblieben. Der von einer interdisziplinär
zusammengesetzten Expertenkommission ausgearbeitete Vorentwurf für eine
Änderung des Zivilgesetzbuches (Erwachsenenschutz, Personenrecht und
Kindesrecht) will unter anderem das Selbstbestimmungsrecht schwacher und
hilfsbedürftiger Personen fördern. Er stellt deshalb drei neue
Rechtsinstitute im Zivilgesetzbuch (ZGB) zur Diskussion:
? Mit einem Vorsorgeauftrag soll eine handlungsfähige Person eine oder
mehrere natürliche oder juristische Personen bezeichnen können, die im Falle
ihrer Urteilsunfähigkeit ihre Interessen wahren und sie im Rechtsverkehr
vertreten sollen.
? Mit einem Vorsorgeauftrag für medizinische Massnahmen wird eine natürliche
Person beauftragt, bei Urteilsunfähigkeit des Auftraggebers oder der
Auftraggeberin die Zustimmung zu medizinischen Massnahmen zu erteilen.
? In einer Patientenverfügung schliesslich soll eine urteilsfähige Person
festlegen können, welche medizinische Behandlung sie im Falle ihrer
Urteilsunfähigkeit wünscht oder ablehnt.

Massarbeit statt standardisierte Massnahmen

Die heutigen behördlichen Massnahmen tragen dem Verhältnismässigkeitsprinzip
nicht ausreichend Rechnung. An ihre Stelle soll als einheitliches
Rechtsinstitut die Beistandschaft treten, wenn eine Person ihre
Angelegenheiten nicht mehr besorgen kann und die Unterstützung durch
Angehörige oder freiwillige private oder öffentliche Dienste nicht
ausreicht. Statt standardisierter Massnahmen ist inskünftig von den Behörden
Massarbeit gefordert, damit nur soviel staatliche Betreuung erfolgt, wie
wirklich nötig ist.

Vier Arten von Beistandschaften

Der Vorentwurf unterscheidet vier Arten von Beistandschaften, die in
modernisierter Form an die bisherigen behördlichen Massnahmen anknüpfen. Die
Begleit- und die Vertretungsbeistandschaft modifizieren die heutige
Beistandschaft. Die Handlungsfähigkeit bleibt bei der Begleitbeistandschaft
unberührt. Bei der Vertretungsbeistandschaft muss sich die betroffene Person
die Handlungen des Beistands oder der Beiständin anrechnen oder gefallen
lassen. Die Behörde kann auch die Handlungsfähigkeit punktuell einschränken.
Die Mitwirkungsbeistandschaft wird errichtet, wenn gewisse Handlungen der
hilfsbedürftigen Person zu ihrem Schutz der Zustimmung des Beistands oder
der Beiständin bedürfen. Bei der umfassenden Beistandschaft, dem
Nachfolgeinstitut der Entmündigung, entfällt die Handlungsfähigkeit. Sie
wird insbesondere angeordnet, wenn eine Person dauernd urteilsunfähig ist.

Privilegien für Angehörige

Auf die erstreckte elterliche Sorge (Eltern bleiben Vormund über Mündigkeit
hinaus) soll verzichtet werden. Dafür sieht der Vorentwurf für die Eltern,
die als Beistand und Beiständin eingesetzt werden, Privilegien vor. Sie
sollen insbesondere weder der Inventarpflicht noch der Pflicht zur
periodischen Berichterstattung und Rechnungsablage unterliegen. Die gleichen
Privilegien sollen neu auch für einen Ehegatten (und inskünftig auch für
eine eingetragene Partnerin oder einen eingetragenen Partner) gelten. Unter
bestimmten Umständen sollen auch Lebenspartner und -partnerinnen, Nachkommen
und Geschwister, die eine Beistandschaft übernehmen, von der Behörde von
gewissen Pflichten entbunden werden können.

Neuerungen bei der Unterbringung in einer Einrichtung

Bei der fürsorgerischen Unterbringung in einer Einrichtung sollen der
Rechtsschutz ausgebaut und Lücken geschlossen werden. Unter anderem werden
die ärztliche Einweisungskompetenz beschränkt und wichtige
Verfahrensvorschriften gesetzlich verankert. Neu ist ferner das Recht auf
den Beizug einer Vertrauensperson und die Pflicht der Behörde zur
periodischen Überprüfung der Unterbringung. Die einweisende Instanz muss in
ihrem Entscheid festlegen, ob es um eine Unterbringung zur Betreuung, zur
Behandlung einer psychischen Störung oder zur Abklärung geht.

Die Solidarität stärken

Das neue Erwachsenenschutzrecht berücksichtigt ferner das Bedürfnis der
Angehörigen urteilsunfähiger Personen, ohne grosse Umstände gewisse
Entscheide treffen zu können. Damit wird die Solidarität in der Familie
gestärkt und zugleich vermieden, dass die Behörden systematisch
Beistandschaften anordnen müssen. Nahe Angehörige sollen das Recht erhalten,
für die urteilsunfähige Person die Zustimmung zu einer medizinischen
Behandlung zu geben, sofern kein Vorsorgeauftrag und auch keine genügend
klare Patientenverfügung vorliegt. Im Weiteren räumt der Vorentwurf dem
Ehegatten (und inskünftig auch der eingetragenen Partnerin oder dem
eingetragenen Partner) der urteilsunfähigen Person das Recht ein, die Post
zu öffnen, für die ordentliche Verwaltung des Einkommens und des Vermögens
zu sorgen und die erforderlichen Massnahmen zur Deckung des
Unterhaltsbedarfs zu ergreifen.

Urteilsunfähige Personen besser schützen

Der Vorentwurf will ferner den Schutz urteilsunfähiger Personen, die in
Einrichtungen leben, verbessern. Er schreibt vor, dass für diese Personen
ein schriftlicher Betreuungsvertrag abgeschlossen werden muss, damit über
die erbrachten Leistungen Transparenz besteht. Zudem umschreibt er die
Voraussetzungen, unter denen die Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden
kann. Schliesslich sollen die Kantone verpflichtet werden, Wohn- und
Pflegeeinrichtungen, die urteilsunfähige Personen betreuen, zu
beaufsichtigen.

Verfahren in einer separaten Vorlage geregelt

Mit der Vorlage zur Revision des ZGB schickt das EJPD gleichzeitig einen
Vorentwurf für ein Bundesgesetz über das Verfahren vor den Kindes- und
Erwachsenenschutzbehörden in die Vernehmlassung. Diese separate Vorlage
verbessert den Rechtsschutz und entlastet das ZGB von Bestimmungen über die
örtliche Zuständigkeit und das Verfahren.

Weitere Auskünfte:
Ruth Reusser, stv. Direktorin des Bundesamtes für Justiz und Präsidentin der
Expertenkommission, Tel. 031 / 322 41 49