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CONFOEDERATIO HELVETICA
Die Bundesbehörden der Schweizerischen Eidgenossenschaft

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Warum macht der Staat keine Werbung?

Warum macht der Staat keine Werbung?
Warum macht Werbung keinen Staat?

Bundesrat Moritz Leuenberger am Tag der Werbung, 76. Mitgliederversammlung
der Schweizer Werbung SW/PS.

Bern, 2. Mai 2002

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Danke für die Einladung. Ich habe von Ihrem Präsidenten auch persönlich eine
solche er-halten:

"Sehr geehrter Herr Leuenberger, wir freuen uns, Sie zu diesem anregenden
Ereignis ein-zuladen... Vor allem der Auftritt von Bundesrat Moritz
Leuenberger wird für grosses Interesse sorgen. Der Medienminister ist
bekannt für seine brillanten Referate und wird Mitglieder und Gäste mit
pointierten Aussagen und überzeugenden Analysen in seinen Bann ziehen und
unterhalten."

Das ist Werbung!

Sie hat bei mir so eingeschlagen, dass ich der Einladung folgte und gekommen
bin. Ich bin jetzt zwar etwas gestresst wegen der auf diese Weise geschürten
Verpflichtung, Ihnen etwas bieten zu müssen, andererseits hat mir der
verführerische Ton gefallen, und ich habe mir gedacht, wie schön es wäre,
diesen Text bei anderen Einladungen, die Ihr Präsident unter-schreibt, lesen
zu dürfen, etwa bei einer Veranstaltung der ASTAG. Oder wenn ich ihn gar für
ein Inserat benutzen könnte: "ASTAG-Präsident lobt: Leuenberger ist
brillant!"

Aber die Erfahrungen eines Bundesrates mit der Werbung sind eher passiv als
aktiv: So fand ich mich zum Beispiel letztes Jahr auf riesigen Plakaten des
"Sonntags Blick", abgebildet auf dem Titelbild, welches sich seinerseits auf
den Knien einer lesenden Dame befand; oder vor dem Gesicht eines Scheichs;
oder in den Fäusten eines Boxers; oder vor einem nackten Mann. Angefragt
wurde ich für diese Kampagne nicht. Ganz im Gegensatz zur Miss Schweiz,
welche neben mir abgebildet ist und die ich vom Automobilsalon flüchtig
kenne. Sie ist durch die Werbeagentur kontaktiert worden. Sie wurde Ersatz
von Shawne Fielding, die - ebenfalls im Gegensatz zu mir - angefragt wurde.
Sie hat jedoch abgesagt, ich weiss nicht, ob es am Honorar scheiterte oder
weil sie es als geschäftsschädigend einschätzte, neben dem Bundespräsidenten
abgebildet werden zu werden.

Hätte man mich für die Verwendung meiner Foto für diese Werbung gefragt,
hätte ich aber wahrscheinlich Ja gesagt. Das Plakat hätte ja auch für die
laufende Abstimmungskampagne über die Fristenlösung verwendet werden können,
etwa mit dem Text:

"Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr - Fristenlösung JA!"

Am 22. September findet die Abstimmung über das Elektrizitätsmarktgesetz
statt. Wie gerne würde ich mit einem Meinungsforschungsinstitut und einem
Werbebüro zusammen sitzen, eine Abstimmungskampagne planen mit Plakaten,
Inseraten, Events, vielleicht sogar TV-Spots. Sie wissen, das ist undenkbar.

TV-Spots zu politischen Zwecken sind verboten, und ich müsste gegen mich
einschreiten. Darüber hinaus ist eine richtige Werbekampagne der politischen
Behörden in der Schweiz  schlicht undenkbar.

Arnold Koller hat es mit einer Plakataktion zugunsten der neuen
Bundesverfassung versucht, doch musste er die Kampagne frühzeitig stoppen.

In Österreich hingegen gab es für den Beitritt zur EU eine eigentliche
Werbekampagne mit einem so genannten "Teppich" - Kostenpunkt: 20 Millionen
Franken - während es für unsere UNO-Kampagne lediglich einen sogenannten
Informationskredit in der Höhe von 2 Millionen Franken gab. Das hiess
natürlich nicht "Kampagne", sondern "kontinuierlicher Dialog mit der
Öffentlichkeit" und "verstärkte Kommunikationsbemühungen im Vorfeld der
Volksabstim-mung über den UNO-Beitritt". Zum Vergleich: Die
Einführungskampagne für den Euro hat 321 Millionen Euro gekostet...

Wieso eigentlich macht alle Welt Werbung für alles und jedes, nur gerade bei
uns bleibt dies dem Staat verwehrt?

1. Werbung durch den Staat ist in der Schweiz verpönt

Als Gründe für diese Enthaltsamkeit werden aufgezählt:

1.1. Jede Ausgabe des Staates, also auch jene für Werbung, werde mit
Steuergeldern  bezahlt. Steuern leisten alle, auch die Minderheit. Deren
Rechte würden verletzt,  wenn sie an die Bekämpfung ihrer eigenen
Überzeugung etwas bezahlen müsste.

1.2. Werbung verführe. Der Stimmbürger solle sich aber rein rational, rein
sachlich  verhalten und nicht durch Gefühle verwirrt werden.

1.3. Hinter dieser Argumentation, so glaube ich, steht der Verdacht,
- Werbung sei anrüchig, manipulativ und entstehe aus ethisch fragwürdigen
Motiven. Der Staat müsse jedoch in besonderem Masse moralischen
  Ansprüchen genügen und habe sich deshalb von Werbung fern zu halten;
- und: Werbung als Teil der Handels- und Gewerbefreiheit gehöre zur Wirt
schaft, sei also bestenfalls zu dulden; der Staat jedoch habe sich mit ihr
nicht   zu beschmutzen.

2. Soll der Staat darum nicht werben dürfen?

Schauen wir uns diese Einwände näher an:

2.1. Die Rechte der Minderheit in einem Abstimmungskampf

In einer Demokratie hat sich die Minderheit der Mehrheit zu fügen

Dieser Grundsatz wird zwar in unserer direkten Demokratie, welche auf
Minderheiten spezi-ell Rücksicht nimmt, stark relativiert. Nicht nur bei
uns: Auch in repräsentativen Demokratien nehmen die Stimmbürger Zuflucht zu
Balancemodellen wie etwa der Cohabitation. Auch wenn Initiativen bei uns
abgelehnt werden, so wird - je nach Stärke der Minderheit - in der
Gesetzgebung dann doch wieder ein Kompromiss angestrebt, unter anderem wegen
des möglichen Gesetzesreferendums.

Auch wenn Bundesrat und Parlament klar gegen eine Initiative sind, wird den
Initianten im Abstimmungsbüchlein Platz zur Meinungsäusserung gegeben. In
der UNO-Abstimmung un-terstützten Parlament und Bundesrat die Initianten.
Obwohl vom Gesetz nicht vorgeschrie-ben, wurde in diesem Ausnahmefall auch
der gegnerische Standpunkt dargelegt.

Geld wird jedoch nach der Abstimmung über eine umstrittene Vorlage, auch
ausgegeben, selbst wenn es eine starke Opposition gab. Dieses Geld stammt
denn auch zu einem Teil aus den Steuern der unterlegenen Minderheit. Eine
Brücke oder eine Strasse wird ja nicht nur zu 55% gebaut, auch wenn die
Mehrheit nicht grösser war. Und schliesslich wird ja selbst ein Bundesrat
von jenen bezahlt, die an seiner Stelle lieber einen anderen sähen.
Vorschläge, unser Salär um den Prozentsatz des jeweiligen Nein-Anteils der
Abstimmung über unsere Sachvorlagen zu kürzen, sind jedenfalls noch nicht
umgesetzt.

Deshalb ist eigentlich nicht einzusehen, weshalb die Mehrheit sich nicht
derjenigen Mittel bedienen darf, die jeder Verein einsetzt. Denkbar wäre ja,
dass auch die Minderheit - etwa entsprechend ihrer Stärke bei der
Schlussabstimmung im Parlament - einen Kredit für ihren Standpunkt erhält,
so wie sie im Abstimmungsbüchlein auch ihren Raum hat.

Die Vertreter von Bundesrat und Parlament gehen ja auch mit ihrer vollen
Überzeugungs-kraft, mit ihren Emotionen und Redekünsten auf die
Abstimmungspiste.

Dass die Kosten für die Werbung budgetiert und transparent ausgewiesen sein
müssen, ist ja klar.

2.2. Werbung verführt
2.3.
Diese Warnung vor der Werbung geht implizit davon aus, der politische Mensch
funktioniere bloss nach dem Verstand und das müsse auch der Staat.

Diese Verherrlichung der Rationalität kennen wir von den
Abstimmungskampagnen gegen das Frauenstimmrecht: Ein Einwand, besser wohl
Vorwand, war, die Frauen würden "bloss" emotional abstimmen, während sich
die Männer rein sachlich verhalten würden.

Doch der Mensch agiert aktiv und passiv stets mit Verstand und mit Herz.
Eine Trennung ist nicht möglich. Verführung holt Bereitwillige ab. Es gibt
eine Bereitschaft, sich begeistern und sich suggestiv beeinflussen zu
lassen, den Erfahrungshorizont auszureizen, etwas Neues kennen zu lernen. So
wie wir uns auf dem Jahrmarkt ganz gerne überreden lassen, lassen wir uns
das auch durch professionelle Werbung ganz gerne gefallen.

Etwas völlig anderes ist die Manipulation mit falschen Angaben. Sie steht
nicht zur Diskussi-on, und ist der Werbung nicht generell zu unterschieben,
denn unlautere Methoden gibt es überall, auch in der Politik, der
Wirtschaft, den Medien.

Was ist eine falsche, was eine richtige Angabe?

Die Unterscheidung ist besonders dann schwierig, wenn Witz oder Ironie im
Spiel sind, wenn also ein unmöglicher, übertriebener, genau genommen also
ein falscher Sachverhalt darge-stellt wird, um eine positive Wertung zu
suggerieren. Das Spiel mit dem falschen Sachver-halt, muss für die
Angesprochenen erkennbar sein, denn nur dann ist es Ironie. Wird das Spiel
nicht erkannt, reduziert es sich auf eine Unwahrheit oder die Aussage wird
wörtlich so verstanden, wie sie geäussert wird. Hier bewegt sich Werbung oft
im Grenzbereich. Ich habe vor einiger Zeit mit der Werbefirma der IWC einen
Briefwechsel darüber geführt, ob ihre Kampagne sexistisch sei oder
erkennbarermassen ironisch oder lustig. Ich selber finde das nicht. Aber ich
weiss, das ist eine Frage des persönlichen Geschmacks. Ueber den lässt sich
streiten, aber bitte nicht vor Gericht!

Ich erinnere mich an das Bundesgerichtsurteil, das der tanzenden Kuh Lovely
verbot, damit zu werben, Milch beuge Knochenbrüchen im Alter vor: Dieses
Urteil desavouiert den Zu-schauer als einfältigen Schwachkopf.
Konsequenterweise hätte demnach auch die skisprin-gende Lovely verboten
werden müssen, die nach Simon Ammans Siegen zu sehen war. Nach Meinung des
Bundesgerichts gäbe es also Schweizer, die meinen, Sie müssten bloss Milch
trinken, auf eine Schanze steigen und schon hätten sie eine Olympiamedaille!

Dasselbe beim Slogan von Denner: "Wir sind immer billiger": Er wurde
gerichtlich verboten, weil Denner nicht wirklich in jedem Fall billiger sei.
Als ob das nicht jeder gewusst hätte! Der erlaubte Spruch hiess dann: "Wir
sind immer billig!" Wie langweilig, wie korrekt, um nicht zu sagen: wie
billig! Und dass es die Farbe "Weisser als weiss" nicht gibt, wissen wir
auch. Auch, dass es ein Auto in Tat und Wahrheit nicht gibt, das "innen
grösser als aussen" ist. Aber solche Slogans sind der Stoff, aus dem das
Bundesgericht seine Erkenntnisse weben kann. Insofern verführt Werbung eben
nicht bloss, sondern leistet einen wesentlichen Beitrag zur Schärfung
intellektueller Akrobatik in Lausanne und damit zum Rechtsstaat.

Der Name eines Produktes ist auch Teil seiner Werbung. Mit verführerischen
Namensge-bungen schlagen wir uns auch in der Politik herum. So ist
beispielsweise "Kontingentierung" in der freien Marktwirtschaft, mithin also
auch für die EU, ein Schimpfwort und bedeutet im-mer auch Diskriminierung.
So wurde das Wort Dosierung kreiert. Von der EU ist es akzep-tiert worden -
von der ASTAG nicht.

Am Mont-Blanc gibt es eine Privilegierung des Regionalverkehrs. Wir führen
diese gefällige Etikette jetzt auch hier, statt des diskriminierenden
"Binnenverkehrs", ein, müssen dann aber auch das Produkt ändern, damit kein
Etikettenschwindel betrieben wird. Privilegiert wären dann auch die
Lastwagen aus Como und nicht nur jene aus dem Tessin.

Das blosse Austauschen einer Etikette genügt denn auch in der Politik selten
und führt meist nur kurzfristig zu einer besseren Akzeptanz des Produktes.

Die Etikette "AKW" gegen das harmlos klingendere "KKW" auszutauschen,
vermochte die Skepsis der Bevölkerung sowohl gegenüber Atom- wie Kernkraft
nicht zu zerstreuen. Die Stellung der Fremdarbeiter ist mit dem Wort
Gastarbeiter auch nicht besser geworden, so wenig wie es den Alten besser
ging, als man ihnen Senioren und dann wieder Ältere sagte. Und das
Bankkundengeheimnis wird es auch nicht leichter haben als das Bankgeheimnis.

2.4. Reiner Staat -schmutzige Werbung?
2.5.
Wer wirbt, muss ethisch reflektieren, das ist selbstverständlich. Wir
erwarten das von jeder Branche. Es gibt aber keine Gründe, es von der
Werbung besonders intensiv zu verlangen. Denn Werber tun als solche nichts
Anrüchigeres als Angehörige irgend einer anderen Bran-che wie Rechtsanwälte,
Treuhänder, Banken- und Medienleute oder Politiker. Die Werbung ist also wie
jede gesellschaftliche Tätigkeit, wie jeder Beruf eingebunden in die
moralische Diskussion.

Die Ansprüche an das moralische Verhalten des Staates sind aber höher:

Als die Post begann, in ihren Filialen auch Zeitungen zu verkaufen, bekam
ich als Postmini-ster Briefe, in denen sich Bürgerinnen und Bürger bei mir
über die "unanständigen" Schlag-zeilen beschwerten, auch zum Beispiel über
den Blick-Aushang: "Seitensprung hält fit!" Zwar hing dieses Plakätchen auch
an jedem Kiosk. Das störte aber offensichtlich nicht. Die Ka-derlöhne von
SBB und Post, aber auch Swisscom empörten, obwohl sie Bruchteile von
Ma-nagerlöhnen in der Privatwirtschaft darstellen. Bei der Privatwirtschaft
wurde die moralische Schallgrenze erst bei Exzessen wie Affolter oder
Barnevik durchbrochen.

In der parlamentarischen Diskussion zum heute gültigen RTVG wurde Werbung
für das Fernsehen auch bekämpft, wobei unter anderem eine Art
Kapitalismuskritik Vater der morali-schen Gedanken war: Es sei die
Wirtschaft, welche Werbung brauche und sie schaffe so künstliche
Bedürfnisse.

Mein Vater kann es zum Beispiel nicht verstehen, dass die Post rentabel sein
soll. Auch das ist meines Erachtens ein überhöhter Moralanspruch an den
Staat: Er soll sich nicht mit "Geld verdienen", "mit Wirtschaft", also auch
nicht mit Werbung beschmutzen. Wenn ich sage "überhöhter" Moralanspruch,
möchte ich eigentlich sagen "überholter" Moralanspruch.

Mit der Verführung professionell umzugehen, ist eine hohe Kunst. Wieso sie
sich der Staat versagen soll, kann ich nicht begreifen. Er befindet sich in
Konkurrenz zu Interessengruppen, zu Parteien und zur Wirtschaft. Dies umso
mehr als er selber liberalisiert und Kompetenzen an diese abtritt. Zum
Wettbewerb gehören aber gleich lange Spiesse.

Hoffen Sie jetzt aber nicht, ich sei von meiner eigenen Theorie so
überzeugt, dass ich mor-gen einen Kreditantrag für Werbung zugunsten des EMG
stelle. Ich erlaube mir zwar diesen theoretischen Traum, muss aber die harte
politische Realität zur Kenntnis nehmen und er-kennen: Werbung muss
effizient sein und auf die Reaktion des Publikums Rücksicht neh-men. Wir
müssen anerkennen, wie kontraproduktiv der Einsatz von Werbemitteln wäre. Es
gäbe Abwehrmechanismen wie damals, als vor ca. 30 Jahren in Zürich erstmals
National-ratskandidaten auf Plakaten erschienen und einen Werbeaufwand
betrieben, der als unan-ständig empfunden wurde. Sie wurden dann auch nicht
gewählt. Allzu viele Werbung in ei-nem Fernsehprogramm kann zur Abwanderung
auf andere Sender führen.

Und es könnte durchaus sein, dass der für Schweizer Verhältnis astronomisch
hohe Kom-munikationskredit von 6 Millionen Franken für den EWR seinerzeit
mit zu dessen Ablehnung beigetragen hat.

Aufgrund dieser Erkenntnis, die zugleich eine politische und eine
marktanalytische ist, hüte ich mich, professionell Werbung für das
Elektrizitätsmarktgesetz zu veranlassen. Dies umso mehr, als ich Grund zur
Hoffnung habe:

Die Exekutive der Stadt Lausanne hat kürzlich 100'000 Franken gesprochen -
so viel, wie etwa die Eröffnung einer Tagesschule kostet -, um das EMG zu
bekämpfen.

Doch ich glaube, da sei einiges im Fluss. So wie heute Rednerkurse auch für
Parlamentarier nicht mehr verpönt sind, so wie heute mancher Politiker einen
PR-Profi in Anspruch nimmt, so wie die Professionalisierung der
Kommunikation auch bei staatlichen Unternehmen, beim Parlament und bei der
Verwaltung voranschreitet, so werden Berührungsängste mit der Werbung fallen
und diese wird auch hier salonfähig. Sobald die Werbung Staat macht, wird
der Staat Werbung machen.