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Referat von Bundesrat Pascal Couchepin, anlässlich der OLMA, Schweizer Messe für die Land- und Milchwirtschaft, Donnerstag, 12. Oktober, St. Gallen

PRESSEMITTEILUNG / Bern, 12.10.2000

Referat von Bundesrat Pascal Couchepin, anlässlich der OLMA, Schweizer
Messe für die Land- und Milchwirtschaft, Donnerstag, 12. Oktober, St.
Gallen

Es gilt das gesprochene Wort
Sperrfrist: 12.10.2000, 10.30 Uhr

LANDWIRTSCHAFT - HEUTE UND MORGEN

"Der Niedergang beginnt dann, wenn man sich fragt: was geschieht mit
uns, anstatt zu fragen, was können wir tun?" Das Zitat des Schweizer
Schriftstellers Denis de Rougemont führt uns vor Augen, dass es
leichter ist, zu klagen, als gegen die Schwierigkeiten zu kämpfen. Es
ruft zum Handeln auf. Die Versuchung ist tatsächlich gross, dass wir
die Globalisierung, die Härte des Wettbewerbs, die new economy, den
Ölschock, die Liberalisierung des Elektrizitätsmarktes und den Sturz
des Euro für alle Schwierigkeiten verantwortlich machen.
Die erwähnten Entwicklungen zwingen uns, unsere Position zu
hinterfragen, uns anzupassen und uns den Herausforderungen zu stellen.
Nur mit dieser Grundhaltung wandeln sich die Herausforderungen in
echte Chancen und eröffnen neue Perspektiven.
Die Wirtschaft verläuft in Zyklen: auf Perioden guter Konjunkturlage
und Wirtschaftswachstum folgen Rezessionsperioden und umgekehrt. Die
Geschichte hat es gezeigt: Der Staat kann diese Hochs und Tiefs nicht
verhindern. Er kann aber Massnahmen ergreifen und Reformen einleiten,
um übermässige Härten einer Rezession zu vermindern, oder um eine zu
starke Inflation zu bremsen.
Die letzte Rezession hat uns die Defizite mit aller Härte gezeigt. Ich
bin überzeugt, dass wir heute vom wirtschaftlichen Aufschwung
profitieren müssen um die notwendigen Reformen weiter zu führen. Das
meine ich, wenn ich von Chancen rede. Irgendwann kommt der nächste
Konjunktureinbruch bestimmt. Heute entscheiden wir, wie gut oder wie
schlecht wir ihn werden meistern können.
Was ist zu tun? Auf interner Ebene muss die Umstrukturierung unserer
Wirtschaft weiter vorangetrieben werden. Ich erwähne als Beispiel die
Öffnung der Binnenmärkte, insbesondere unseren Strom- und Gasmarkt.
Die Europäische Union ist uns hier einige Schritte voraus. Konkret
heisst das: unsere Konkurrenten sind früher und damit besser gerüstet
für den zunehmend harten Wettbewerb. Die Öffnung der Binnenmärkte
bringt den Konsumenten und Konsumentinnen neben strukturellen Reformen
ein besseres Preis-/Leistungsverhältnis. Eine wettbewerbsfreundliche
Politik ist nicht eine Politik ohne Regeln. Im Gegenteil, der
Wettbewerb erfordert seitens des Staates klare Regeln, auf die sich
die Wirtschaftsakteure auch wirklich verlassen können.
In einer Welt ohne Wettbewerb gibt es auch Regeln. Diese werden dann
aber von Monopolen und Kartellen diktiert. Sie schalten eine offene,
demokratische Debatte aus - verständlich also, dass es auch unter
Kartellisten und Monopolisten Gegner der Liberalisierung gibt.
Die vorgesehene Revision des Kartellgesetzes sowie die Prüfung von
Revisionsmöglichkeiten im Binnenmarktgesetz gehen in diese Richtung.
Ein weiteres Revisionsvorhaben meines Departementes ist dem
Bildungssystem gewidmet. Auf diesem Gebiet setzt der Staat wohl einen
der wertvollsten Grundsteine für die Zukunft unseres Landes. Der
heutigen Jugend sollen beste Voraussetzungen geboten werden, damit sie
den aktuellen und künftigen Herausforderungen erfolgreich begegnen
kann.
Der Reformprozess hat auch unsere Landwirtschaft erfasst. Die meisten
der hier Anwesenden wissen das. Nach über 40 Jahren hatte unsere alte
Gesetzgebung ihre Grenzen erreicht. Zunehmende Kritik innerhalb des
Landes, ein starker Interventionismus sowie ein schwaches Rüstzeug auf
den internationalen Märkten waren Grund genug, nicht länger
abzuwarten. Die Weiterführung der bisherigen Agrarpolitik hätte die
Bäuerinnen und Bauern geradewegs in die Sackgasse geführt.
Ein neuer Kurs wurde Anfang der neunziger Jahre mit der Einführung der
produktionsunabhängigen Direktzahlungen eingeleitet, was eine
vermehrte Trennung von Preis-  und Einkommenspolitik erlaubte. Die
neue Agrarpolitik wurde 1996 in der Bundesverfassung verankert. Der
neue Verfassungsartikel wurde vom Stimmvolk mit grosser Mehrheit
gutgeheissen. Die Umsetzung konnte 1998 und 1999 mit dem neuen
Landwirtschaftsgesetz und mit den entsprechenden
Ausführungsbestimmungen in Gang gesetzt werden.
Die sogenannte „Agrarpolitik 2002“ ist nun seit bald zwei Jahren in
Kraft. Eine erste Bilanz zeigt, dass der Übergang zu mehr Markt und
weniger Staat besser verlaufen ist, als gewisse Kreise es
prophezeiten. Die Marktanteile konnten gehalten werden. Die Preise
sind nicht zusammengebrochen. Die Milch- und Fleischmärkte sind im
Gleichgewicht. Die Käseexporte steigen. In gewissen Verwertungskanälen
fehlt es heute sogar an Milch. Sei es hier in St.Gallen an der OLMA,
sei es am Comptoir in Lausanne oder an der Berner BEA, jedes Mal bin
ich verblüfft ob der Vielfalt innovativer Schweizer Agrarprodukte.
Ich stelle fest, dass die Strukturveränderungen fortgeführt werden und
dass wir fähig sind, uns den internationalen Herausforderungen zu
stellen. Schon während des Abstimmungskampfes für die bilateralen
Abkommen habe ich immer betont, dass uns die Verträge dabei helfen
werden und unserer Landwirtschaft gute Perspektiven eröffnen. Heute
geht es darum, die Umsetzung so schnell als möglich zu gewährleisten.
Wenn die Abkommen nicht wie ursprünglich vorgesehen anfangs 2001 in
Kraft treten können, dann nur deshalb, weil die
Ratifizierungsverfahren in mehreren Ländern der EU noch nicht erfolgt
sind.
Das bilaterale Landwirtschaftsabkommen bietet unseren Bäuerinnen und
Bauern neue Absatzmöglichkeiten in jenen Bereichen, in denen sie
leistungsstark sind: bei den Milch- und Bio-Produkten sowie beim Obst
und Gemüse. Das Abkommen ist aber keine Wunderlösung, die den Erfolg
mit 100-prozentiger Sicherheit garantiert. Der Erfolg steht und fällt
- wie im übrigen in allen Wirtschaftszweigen - mit der aktiven Nutzung
der Möglichkeiten. Es liegt in der Hand unserer Landwirtschaft, die
Möglichkeiten zu ergreifen, um mehr zu exportieren und sich auf dem
europäischen Markt zu behaupten.
Landwirtschaftspolitik wird nicht nur auf nationaler Ebene betrieben.
Auch in der WTO, der Welthandelsorganisation, laufen derzeit
Diskussionen. Man kann es nie genug betonen: Ein kleines Exportland
wie die Schweiz benötigt im internationalen Kontext ein hohes Mass an
Rechtssicherheit. Nur diese Organisation ist in der Lage, uns dies zu
bieten. Jene, die sich über den Misserfolg von Seattle gefreut haben,
dürften sich aus diesem Grunde irren. Natürlich sind wir uns bewusst,
dass die nächsten Verhandlungen zu einer weiteren Reduktion des
Grenzschutzes und der Marktstützung führen können. Unsere aktive
Teilnahme an den Verhandlungen hat aber ein klares Ziel. Wir werden
uns einsetzen für die Besonderheiten unserer Landwirtschaft. Wir
werden sie verteidigen und ihr die besten Verkaufschancen für ihre
Produkte ermöglichen.
Unsere feste Absicht ist es, das Konzept der Multifunktionalität auf
internationaler Ebene zu verankern. Deshalb versucht die Schweiz,
zusammen mit der Europäischen Union, Korea, Japan und anderen
Gleichgesinnten die Koalition der „Freunde der Multifunktionalität“ zu
stärken. Eine Beurteilung der Lage in den Bereichen Landwirtschaft und
Dienstleistungen wird im nächsten Frühling stattfinden.
Unsere Landwirtschaft und der gesamte Nahrungsmittelsektor stellen
sich tagtäglich vielfältigen Herausforderungen. Ich möchte hier
nochmals eines klar betonen: Die Anstrengungen, welche die
Bauernfamilien und die Verarbeitungsunternehmen bis heute vollbracht
haben, um sich der Marktöffnung anzupassen und um den höheren
ökologischen Anforderungen gerecht zu werden, sind bemerkenswert. Ich
weiss, dass die Anpassungen nicht einfach sind. Für einige sind sie
sogar sehr hart. Es gibt meines Erachtens aber keine Alternativen
dazu, wenn die Marktanteile der schweizerischen Ernährungsbranche auf
den in- und ausländischen Märkten gehalten oder gar ausgebaut werden
sollen.
Gewisse kritische Stimmen sind nun laut geworden. Sie verlangen , dass
die laufende Agrarreform hier enden solle. Ich glaube nicht, dass der
Landwirtschaft mit einem Moratorium geholfen wird. Im Gegenteil, der
Abbruch der Reformen würde längerfristig zu einer Schwächung der
Landwirtschaft führen. Wenn wir unseren Bäuerinnen und Bauern sowie
dem ganzen Nahrungsmittelsektor Zukunftsperspektiven geben wollen,
müssen die im Vergleich zur Europäischen Union bestehenden Defizite
sowohl strukturell wie auch kostenseitig verkleinert werden.
Selbstverständlich dürfen die notwendigen Anpassungen nicht nur von
den Bauernbetrieben getragen werden. Sie müssen entlang der gesamten
Wertschöpfungskette erbracht werden, das heisst, auch in den vor- und
nachgelagerten Sektoren.
Die konkrete Umsetzung der nächsten Schritte wird Gegenstand eines
breit abgestützten Dialogs sein. Das Strategiepapier "Horizont 2010",
welches das Bundesamt für Landwirtschaft diesen Sommer veröffentlicht
hat, soll als Diskussionsgrundlage dienen. Die neu eingesetzte
Beratende Kommission Landwirtschaft hat ihre Arbeiten bereits
aufgenommen. An ihrer zweiten Sitzung Ende September hat sie im Sinne
einer strategischen Empfehlung bestätigt, dass der Reformprozess
weiter verfolgt werden muss. Unter Einhaltung von zwei grundlegenden
Bedingungen: die Berücksichtigung der sozialen Aspekte und die
Aufrechterhaltung der ökologischen Standards.
Es werden noch in diesem Monat drei Arbeitsgruppen eingesetzt, in
welchen die Vertreter der Landwirtschaft und die interessierten Kreise
Einsitz haben. Die Arbeitsgruppen haben die Aufgabe, Massnahmen zur
Umsetzung der strategischen Grundsätze vorzuschlagen. Konkret geht es
darum, die Wettbewerbsfähigkeit weiter zu verbessern und die
Möglichkeiten für zeitlich befristete soziale Begleitmassnahmen zu
prüfen. Diese Arbeiten müssen bereits jetzt in Angriff genommen
werden. Das Parlament soll die möglichen Änderungen im
Landwirtschaftsgesetz gleichzeitig mit der Debatte über den nächsten
Finanzrahmen für die Jahre 2004 bis 2007 behandeln können.
Ich möchte abschliessend noch einmal unterstreichen, dass uns heute
der Veränderungsprozess zwingt, in immer kürzeren Zeiträumen zu
reagieren. Die Konkurrenz schläft nicht. Sowohl innerhalb als auch
ausserhalb des Landes verbessert sie ihre Wettbewerbsfähigkeit
kontinuierlich. Es ist deshalb entscheidend, Entwicklungen
vorwegzunehmen - und dies in allen Bereichen der Wirtschaft. Die
politische Debatte ist gut angelaufen und ich glaube an den
pragmatischen Sinn der Schweizer und Schweizerinnen für konstruktive
Lösungen. Dies gibt mir die Zuversicht, dass unser Land und unsere
Landwirtschaft die künftigen Herausforderungen erfolgreich bestehen
werden.

Auskünfte:
Robin Tickle,  Tel. 079 211 62 28