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Perspektiven der schweizerischen Regionalpolitik

PRESSEMITTEILUNG / Bern, 4.10.2000

Perspektiven der schweizerischen Regionalpolitik

Perspektiven der schweizerischen Regionalpolitik - Chancen und
Herausforderungen für das Wallis

Referat von Bundesrat Pascal Couchepin
Vorsteher des Eidg. Volkswirtschaftsdepartements
an der GV der FDP Oberwallis
Naters, 4. Oktober 2000

Es gilt das gesprochene Wort!
Embargo : Mittwoch 4. Oktober 2000, 19h

 Sehr geehrte Damen und Herren

Vor einigen Jahren, als die Arbeitslosigkeit stetig anstieg, ist mir
etwas aufgefallen. In den Grenzregionen war die Arbeitslosenrate
beidseits der Grenze ungefähr gleich hoch. In Baden-Württemberg lag
die Arbeitslosenrate nahe bei jener von Schaffhausen, und jene von
Genf war auf dem Niveau der Region Rhône-Alpes. Im Tessin glich die
Rate stark jener der Lombardei.

Die Schlussfolgerung ist klar. In einer offenen Wirtschaft sind die
Grenzen keine wirklichen Hindernisse für den Handel oder den freien
Verkehr der Arbeitskräfte. Das ist international so, und natürlich
noch viel mehr innerhalb eines Landes.

Die Kantonsgrenzen sind vielleicht praktisch, um die Entwicklung der
verschiedenen Regionen der Schweiz im Detail zu untersuchen. Eine
solche Betrachtung ist aber ungenügend. Eine gute nationale
Wirtschaftspolitik hilft dem Wallis ebenso wie dem Kanton Zürich.
Damit will ich natürlich nicht abstreiten, dass es Unterschiede gibt
und ich verheimliche nicht, dass es manchmal auch Gegensätze zwischen
Wirtschaftsbranchen oder zwischen Regionen gibt.

Ich möchte aber eine einfache Tatsache in Erinnerung rufen.
Regionalpolitik ist zwar nützlich und nötig. Sie ist aber nur als
Ergänzung einer gesunden nationalen Wirtschaftspolitik gedacht.

Die Regionalpolitik ist in einem föderalistischen Land eine notwendige
Ergänzung der allgemeinen Wirtschaftspolitik. Sie allein kann die
Grundlagen für die wirtschaftliche Entwicklung nicht schaffen. Sie
kann aber einer Region, welche dies wegen ihrer geografischen oder
wirtschaftlichen Lage braucht, zusätzliche wichtige Impulse geben.

Die Realität beweist, dass diese Vision der Beziehung zwischen
allgemeiner Wirtschaftspolitik und Wohlstand in allen Regionen der
Schweiz richtig ist. Nehmen Sie die Arbeitslosigkeit als Beispiel.
Ende 1997 lag sie landesweit durchschnittlich auf über 5,5%, mit
Spitzen von gegen 10% in einigen Regionen, insbesondere in der
Romandie und im französischsprachigen Wallis. Im August dieses Jahres
lag die Arbeitslosenrate in der Schweiz bei 1,8%, was
Vollbeschäftigung bedeutet. Auch im Wallis liegt sie heute bei rund
1,8%.

Der Erfolg der gesamtschweizerischen Wirtschaftspolitik bringt somit
auch dem Wallis Erfolg.

Zwischen dem Wohlstand der grossen Wirtschaftszentren der Schweiz und
dem Wohlstand der Randregionen gibt es keine grundsätzlichen
Unterschiede. Dennoch hat jede Region ihre spezifischen Probleme.
Deshalb braucht es eine Regionalpolitik, welche die spezifischen
Bedürfnisse der Randregionen berücksichtigt. Gleichzeitig muss aber
die Regionalpolitik auch die besonderen Bedürfnisse der grossen
Wirtschaftszentren berücksichtigen, zum Beispiel wenn es darum geht,
auf die Transportprobleme der Region Zürich einzugehen. Sie heisst
dann nicht Regionalpolitik, sondern „Transportpolitik“ oder „Rail
2000“.

Welches sind die Grundlagen der allgemeinen Wirtschaftspolitik?

Es gibt einen deutschen Ausdruck, der diese Politik definiert: die
„Ordnungspolitik“. Ich mag diesen Ausdruck ehrlich gesagt nicht
besonders, und dies aus mehreren Gründen. Zunächst, weil es kein
wirkliches Pendant auf Französisch oder Italienisch gibt. Und zweitens
ist er mit Vorurteilen belastet.

Lieber sage ich einfach, dass eine gute Wirtschaftspolitik
vorhersehbar sein muss. Die wirtschaftlichen Akteure, die Unternehmer,
die Investoren, die Arbeitskräfte müssen in einem bekannten Rahmen
handeln können. Für jemanden, der handelt, investiert oder überlegt,
welche Karriere oder welches Studium er oder sie anpacken will, ist
nichts gefährlicher als rechtliche oder politische Unsicherheit. Die
wirtschaftlichen Unsicherheiten sind schon gross genug.

Eine vorhersehbare Politik ist eine Politik, welche plötzliche
Kehrtwendungen vermeidet, eine Politik, welche nicht dauernd
interveniert und die Spielregeln ändert.
 Eine interventionistische Politik führt zu einer unerwünschten Kette
von Interventionen. Diese Politik führt zu Interessenkonflikten.
Diejenigen, die den stärksten Druck ausüben, setzen die für sie
vorteilhaften Lösungen durch.

Welches sind die tragenden Säulen einer allgemein gültigen
Wirtschaftspolitik, die einen vorhersehbaren Rahmen bieten soll?

Sie baut auf dem Wettbewerbsprinzip auf. Der Wettbewerb führt zu einer
Effizienzsteigerung der Wirtschaftsakteure. Sie baut auf einer
Reformpolitik auf, welche die Liberalisierung vorantreibt. Sie will
allen eine gute Ausbildung ermöglichen, die Forschung unterstützen und
die Umwandlung innovativer Forschungsergebnisse in Produkte fördern.

Der Bundesrat und insbesondere mein Departement haben im Bereich
Liberalisierung und Wettbewerb in den letzten Jahren einen innovativen
Geist unter Beweis gestellt. Bei der Auflösung von Kartellen, bei der
Öffnung des Binnenmarktes und bei der Liberalisierung der öffentlichen
Hand wurden grosse Fortschritte erzielt.

Noch sind wir aber nicht am Ende der Strukturänderungen. Wir müssen
heute von der positiven Konjunkturlage profitieren und die Reformen
weiterführen. Die Liberalisierung, welche im Telekommunikationssektor
gut begonnen hat, wird fortgeführt und in den Bereichen Strom und Post
wird sie in Angriff genommen.

Im Strommarkt will der Bundesrat eine rasche Öffnung, das heisst in
sechs Jahren. Dazu kommen noch zwei Jahre parlamentarischer Debatten.
In diesem Bereich wie in anderen Monopolsektoren bringt eine
Marktöffnung mehr Innovation, bessere Leistungen zu tieferen Preisen
und schafft letztlich neue Stellen

Ich wiederhole es - die Randregionen profitieren von der
Liberalisierung der Telekom. Die Dienstleistungen sind seither
billiger geworden, was den Standortnachteil der grossen Distanz zu den
Wirtschaftszentren relativiert. Wenn der Staat ausserdem einen
wirksamen Leistungsauftrag definiert, ist der service public entgegen
einer weit verbreiteten Meinung auch auf einem liberalisierten Markt
nicht gefährdet.

In der Wettbewerbspolitik schlägt mein Departement eine Revision des
Kartellgesetzes vor. Der Gesetzesentwurf enthält neu die Möglichkeit,
ab dem ersten Verstoss Bussen zu verhängen. Die Schweizer Wirtschaft
ist noch zu stark kartellisiert. Das revidierte Gesetz soll ein
Zeichen setzen, damit sich Mentalitäten und Praktiken schneller
ändern.

Gestatten Sie mir ein paar Ausführungen zur Agrarreform. Der Übergang
zu mehr Markt und weniger staatlicher Planung verläuft besser als
viele prophezeit haben.

Die Marktanteile bleiben erhalten. Die Preise sind nicht eingebrochen.
Der Milch- und der Fleischmarkt sind ausgeglichen. Die Käseexporte
wurden stimuliert und die Strukturänderungen gehen weiter.

Unsere Landwirtschaft und der Nahrungsmittelsektor nehmen die
Herausforderungen an. Ich möchte besonders auf die Anstrengungen
hinweisen, welche die Bauernfamilien und die Verarbeitungsbetriebe
unternommen haben, um sich der Marktöffnung anzupassen und um die
immer höheren ökologischen Anforderungen zu erfüllen.

Die Anpassungen, welche wir von der Landwirtschaft fordern, sind nicht
einfach. Für einige sind sie sehr hart. Es gibt aber keine andere
Lösung, wenn wir die Marktanteile des Nahrungsmittelsektors in der
Schweiz und im Ausland sicherstellen und weiter entwickeln wollen.

Deshalb führen wir die Reform in der Landwirtschaftspolitik weiter.
Das Dokument „Horizont 2010“, welches das Bundesamt für Landwirtschaft
diesen Sommer veröffentlicht hat, gibt dieser Entwicklung einen
Rahmen. Ein Moratorium würde die Landwirtschaft schwächen. Wir müssen
den Rückstand zur Europäischen Union schrittweise aufholen. Die
Preisreduktionen dürfen aber nicht nur die Bauern treffen. Auch bei
der Verarbeitung und beim Verkauf braucht es Anpassungen.

Eine weitere grosse Baustelle ist jene der Berufsausbildung. Das neue
Gesetz legt für unser Dualsystem einen modernen Rahmen fest. Es
verbessert die Beziehung zwischen den verschiedenen Ausbildungsgängen
sowie zwischen der Entwicklung der Wirtschaft und dem Inhalt der
Ausbildung.

Regionalpolitik und die Situation im Wallis

Nach diesem Streifzug durch die Wirtschaftspolitik, möchte ich ein
paar Ueberlegungen zur Regionalpolitik weitergeben, natürlich unter
besonderer Berücksichtigung unseres Kantons.

Das Wallis befindet sich, davon bin ich überzeugt, in einer günstigen
Phase. Das kantonale Wachstum liegt nur leicht unter dem landesweiten
Mittel. Es ist dagegen stärker als jenes der grossen
Wirtschaftszentren wie Genf oder Basel Stadt, welche aber auf einem
höherem Niveau aufbauen können.

Die Walliser Industrie hat von der günstigen Konjunktur auf vielen
Exportmärkten profitiert. Der gute Gang der europäischen Märkte, die
US-Wirtschaft, welche weiter auf Hochtouren läuft, und der
Wiederaufschwung der asiatischen Märkte bieten ein gesundes Umfeld für
die Walliser Exporte.

Im Vergleich zum Rest der Schweiz hat die Wirtschaft des Kantons sehr
diversifizierte Absatzmärkte. Das ist ein günstiges Element, welches
die kantonale Wirtschaft vor einer vorübergehenden Verschlechterung
auf einem der Märkte schützen kann. Wir haben hingegen einige
strukturelle Probleme. Auf dem Index der Standortvoraussetzungen liegt
das Wallis unter dem nationalen Durchschnitt - nur gerade vor zwei
anderen Kantonen.

Dieser Index setzt sich aus einer Reihe von Faktoren zusammen, welche
für das langfristige Wachstumspotenzial eines Kantons wichtig sind.
Diese Faktoren sind beispielsweise die Verfügbarkeit von
Arbeitskräften und deren Ausbildungsstand, die Qualität der
Infrastrukturen und das Steuerniveau. Es liegt am Kanton, zu
bestimmen, ob er die Faktoren ändern will, welche objektiv gesehen
sein Wachstum langfristig behindern.

Sicher, das Wallis kann auf gute Verbindungen zum Bahnnetz und zum
internationalen Strassennetz zählen. Aber die Distanzen zu den grossen
städtischen Zentren bleiben gross und die Fahrzeiten lang. Das kann
nur durch die Verbesserung unserer Bahn- und Strassenverbindungen
geändert werden. Vieles wird in diesem Bereich mit Hilfe des Bundes
unternommen.

Das Wallis leidet auch unter einem „Brain-drain“. Die Arbeitskräfte
mit guter Ausbildung und guten Qualifikationen verlassen oft den
Kanton, vor allem die 20- bis 40-Jährigen. Trotz der Anstrengungen im
Bereich der Ausbildung von Arbeitskräften hat das Wallis ein
Ausbildungsniveau, das unter dem nationalen Durchschnitt liegt. Es hat
sich bemüht Gegensteuer zu geben, namentlich mit der Gründung einer
Walliser Fachhochschule. Ein weiterer Faktor --aber das gehört in die
Kantonalpolitik und ich sage das deshalb nur nebenbei -- sind die
hohen Steuern, welche auf den Unternehmen und den natürlichen Personen
lasten.

Kommen wir aber zurück zur Regionalpolitik des Bundes.

Es scheint, dass der Finanzausgleich das wirksamste Mittel der
Regionalpolitik ist. Dieser ist zur Zeit in Revision. Während der
letzten Jahre nahm der Anteil des Bundes an den Finanzen des Kantons
Wallis laufend zu. Er liegt heute bei über 40%. Wenn der
Finanzausgleich so angenommen wird wie vorgesehen, werden diese
Ressourcen auf über die Hälfte der Einnahmen im Kantonsbudget steigen.
Dies ist ein nicht unwichtiges Indiz für die Bedeutung der Beziehungen
zwischen dem Bundesbern und dem Kanton Wallis.

Es gibt andere, traditionelle Instrumente der Bundes-Regionalpolitik,
die wir aber kritisch hinterfragen wollen. Kritisch nicht, um sie
abzuschaffen, sondern um sie zu verbessern.

Zunächst ist da der Bundesbeschluss zugunsten wirtschaftlicher
Erneuerungsgebiete (Bonny-Beschluss). Das Wallis hat in den letzten
Jahren viel von diesem Instrument profitiert, insbesondere in den
führenden Branchen, also genau dort wo unser Kanton gefordert ist und
Anstrengungen unternehmen sollte. Weiter haben wir die IHG-Kredite
(Bundesgesetz über Investitionshilfe für Berggebiete). Das Wallis hat
bisher für 1260 Projekte eine solche Investitionshilfe zugesichert
erhalten.

Denken wir auch an das Projekt „Regio Plus“ sowie die Programme
„Interreg“. Ausserdem ist das Bundesgesetz über die Gewährung von
Bürgschaften und Zinskostenbeiträgen in Berggebieten zu erwähnen. Und
schliesslich will der Bund auch zeitlich limitierte Projekte fördern,
mit dem Ziel, mögliche negative Auswirkungen der Liberalisierung
aufzufangen.

Meine Damen und Herren, ich habe es bereits zu Beginn dieser Rede
gesagt, allgemeine Wirtschaftspolitik und Regionalpolitik müssen nicht
als Gegensatz aufgefasst werden. Sie ergänzen sich. Zunächst muss eine
gesunde, allgemeine Wirtschaftspolitik verfolgt werden. Dazu kommt
eine Regionalpolitik, welche auf die besonderen Bedürfnisse in
bestimmten Regionen eingeht, welche strukturelle Schwächen aufweisen.

Ich glaube, dass es in der Wirtschaftspolitik eine Binsenwahrheit
gibt. Es ist nie der Staat, der das Wohlergehen einer Gesellschaft
ausmacht, es sind die Bürgerinnen und Bürger, die Unternehmer und die
Arbeitskräfte. Deshalb muss eine positive Einstellung zur
wirtschaftlichen Entwicklung geschaffen werden. Im ganzen
Erziehungssystem muss die Kapazität aller gestärkt werden, ihr
Potenzial zu nutzen und zu entwickeln, es muss eine Kultur der
individuellen Verantwortlichkeit und der Verantwortlichkeit jeder
Gemeinschaft entwickelt werden, ob sie nun lokal, regional oder
national ist. Nur so können wir Wachstum produzieren und mehr
Wohlstand für die gesamte Bevölkerung in einem Geist der Solidarität.

Auskünfte:
Pascal Strupler Tel. +41 31 32 22008