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Sperrfrist: 29. September 2000, 19.00 Uhr: Die Chance der politischen Tageszeitung

Es gilt das gesprochene Wort!
Sperrfrist: 29. September 2000, 19.00 Uhr

Die Chance der politischen Tageszeitung

Ansprache von Bundesrat Moritz Leuenberger
zum Jubiläum 150 Jahre des "Bund"

Bern, 29. September 2000
___________________________________________________________________

"Bund" und Bund: Gemeinsame Wurzeln

Wenn der "Bund" ein Jubiläum feiert, muss ein Bundesrat dabei sein - aus
Verwandtschaftsgründen. Wir gehören zur selben Familie:

- Der "Bund" und der Bund sind seit jeher verwandte Weggefährten: Vor 152
Jahren wurde der Bundesstaat gegründet, kurz darauf, im Jahr 1850, dann der
"Bund", der die Begleitzeitung zur jungen Demokratie sein wollte.

- Verwandt sind wir auch von der Herkunft her: "Bund" und Bund sind als rein
freisinnige Produkte gestartet. Beide haben diesen Zustand überwunden und
sich weiterentwickelt.

- Verwandt sind "Bund" und Bund ganz besonders vom Ziel her. Das Ziel des
Bundes: Vier Kulturen leben gerecht, gleichberechtigt und solidarisch unter
dem Dach der gemeinsamen Demokratie. Das Ziel des "Bund": Die Leserin, den
Leser mit Informationen versorgen, so dass sie Demokratie ausüben können und
zu mündigen, demokratietauglichen Staatsbürgern werden - erst später kamen
ja die Staatsbürgerinnen dazu.

Beide, der Bund und der "Bund" sind eine Erfolgsgeschichte. Das zeigt sich
schon nur daran, dass es beide nach 150 Jahren noch gibt - was ja nicht
selbstverständlich ist. Der Bund hat sein Jubiläum 1998 bereits gefeiert.
Heute tut es der "Bund".

Verklärende und aufklärende Jubiläen

Jubiläen sind immer ein bisschen gefährlich. Der Jubilar gerät in
Versuchung, selbstgefällig zurückzuschauen und sich in sentimentaler
Nostalgie auf die Schultern zu klopfen, die Vergangenheit zu verklären.
Verklärung führt zu Verkalkung, Verkalkung zu Erstarrung.

Ein Jubiläum kann aber auch aufklärend gefeiert werden. Das führt zu
Erneuerung, Erneuerung zu Erstarkung. Das gilt für den Bund und es gilt
ebenfalls für den "Bund". Beide müssen sich weiter entwickeln und verändern,
um den einst gesetzten Zielen, den Qualitätsansprüchen und letztlich sich
selbst treu zu bleiben. Nur im Wandel können wir unsere Werte bewahren. Die
Geschichte zeigt das deutlich. Als Vertreter des älteren Verwandten kann ich
hier deshalb ein paar Tipps von Bund zu "Bund" geben.

Werte durch Veränderung bewahren

1848 haben wir die fortschrittlichste Demokratie Europas geschaffen.
Trotzdem wurde sie verändert. Gesetzesreferendum und Verfassungsinitiative
wurden eingeführt. Die Frauen haben das Stimmrecht erhalten. Die politischen
Grundrechte wurden nach dem Landesstreik durch soziale Grundrechte
erweitert, wir haben die AHV geschaffen, regionenübergreifende
Infrastrukturen ausgebaut. Der Grundgedanke der Solidarität zwischen allen
Sprachregionen, zwischen Armen und Reichen wurde gestärkt, zum Beispiel in
der neuen Bundesverfassung.

Wartung, Unterhalt und Erneuerung

Friedrich Dürrenmatt hat einmal geschrieben, es könne und solle "Spass
machen, den Staat nach Bedarf umzubauen und umzumöblieren". (Er sprach von
der Ummöblierung des Staates, nicht des Büros im Bundeshaus; denn letzteres
macht je nach Medienkommentaren weniger Spass.) Doch weil der Drang nach
Bewahren beim Menschen in der Regel deutlich ausgeprägter ist als der Wunsch
nach Veränderung, will ich den notwendigen Wandel nicht mit Spass begründen,
sondern mit regelmässiger und möglichst fachmännischer Wartung der Formen,
in denen Grundwerte bewahrt und gepflegt werden, wie bei einem Auto oder
einem Haus. Zur Wartung gehört auch eine gelegentliche Erneuerung.

Neue Formen in der Demokratie

Solche Erneuerungen sind auch für den Bestand der Demokratie nötig. Ein
Beispiel: Eine stets schwindende Zahl von Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern
geht heute noch selbst zur Urne. Die meisten stimmen brieflich ab. Ich
selbst mache das auch so (, damit ich vor dem Abstimmungslokal nicht
Referenden gegen meine eigenen Gesetze unterzeichnen muss). Ich glaube
nicht, dass die Demokratie deshalb schlechter geworden ist. Wahrscheinlich
ist sie sogar besser geworden: Vermutlich wäre die Stimmbeteiligung ohne
briefliches Abstimmen tiefer als heute. Und - wer weiss - wenn wir dereinst
elektronisch im Internet abstimmen können, werden auch heute abstinente
Kreise zu aktiven Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern.

Wer sich solchem Wandel verschliesst, wer darauf beharrt, dass nur derjenige
ein rechter Schweizer sei, der am Abstimmungssonntag zum Quartierschulhaus
spaziert und dort seinen Zettel in die Urne steckt, verkennt den Unterschied
zwischen Inhalt und Form. Wenn sich eine Form lange bewährt hat, heisst das
noch lange nicht, dass sie sich auch für alle Zeiten weiter bewährt. Wer
will, dass die Form so bleibt wie sie ist, gefährdet den Inhalt.

Das heisst nicht, dass Nostalgie verboten wäre. Der gemeinsame Gang an die
Urne hatte in der Tat etwas Symbolisches. Aber es gibt ja für geliebte
Formen auch neue Inhalte. Der gemeinsame Gang an die Urne wird heute ersetzt
durch den gemeinsamen Gang zur Altflaschen-Sammelstelle - auch eine
staatsbürgerliche Pflicht! - wo wir uns gegenseitig die Weine zeigen können,
die wir getrunken haben. Im Gegensatz zum Stimmlokal, wo die Meinungen schon
gemacht und auf dem Stimmzettel fixiert sind, findet bei den Altflaschen
sogar noch ein Lernprozess und eine Meinungsbildung statt, etwa wenn wir
über die durchaus grundsätzliche Frage diskutieren, ob eine blaue Flasche zu
den Grünen oder den Braunen gehört...

Neue Formen für den Service public

Dass sich die Form verändern muss, damit der Inhalt weiter lebt, zeigt sich
zurzeit in der Diskussion um den Service public: Wenn bis anhin die
Grundversorgung durch staatliche Monopole sichergestellt war, so kann sie
unter dem Einfluss der technischen Entwicklung und derjenigen in der EU
morgen in liberalisierter oder in privatisierter Form besser sichergestellt
sein. Die Lösung, also die richtige Form für den gleichbleibenden Inhalt,
muss für jeden Bereich einzeln gefunden werden.

Die gute alte Zeit(ung) hat es nie gegeben

Auch die Zeitungen haben sich verändert. Gott sei Dank. Die Tendenz, die
Vergangenheit zu verklären, gibt es überall, in Architektur, Sprache, Kunst,
Sitten und Gebräuchen, in der Politik, im Zeitungswesen. So wenig wie die
Schweiz ein Museum ist, so wenig kann dies eine Zeitung sein. Gewiss haben
wir bei der heutigen Medienlandschaft schon manchmal das Gefühl, im Ringen
um Aufmerksamkeit werde durch immer neue TV-Kanäle und Boulevardzeitungen
die Reizspirale stets angetrieben und es mache sich ein tumultartiger
Katzenmusikjournalismus ohne Anlässe breit. Statt einfacher wird es immer
schwieriger, die für die Ausübung der Demokratie relevante Information zu
finden. Es gibt Stimmen, die sich für die Medienlandschaft die "gute alte
Zeit" - quasi die "gute alte Zeitung" - zurück wünschen. Sie glorifizieren
etwas, das es nie gegeben hat:

Auch früher wurde gepoltert

Was Unflätigkeiten betrifft, welche die Medien verbreiten, waren unsere
Medienleute des 19. Jahrhunderts nicht gehemmter als heute. Der englische
"Observer" berichtete, die Schweizer Presse zeichne sich in Europa aus
"durch die Rohheit ihres Stils" und "die Gemeinheit ihrer Sprache".
Schweizer Staatsmänner würden in der Presse als "Schufte, Esel und
Landstreicher" tituliert. Überliefert sind auch Bezeichnungen für Politiker
wie "Rotte verdorbener Demagogen", "feile Mammonsdiener" usw. In den
Zeitungen des 19. Jahrhunderts, so wurde beklagt, stünden "Lügen" und
"boshafte Erdichtungen". Ein Kritiker schrieb: "Es wird gestritten und
geschimpft, die kleinlichsten Anfeindungen und Lügen ohne Zahl werden
ausgestreut und gewöhnlich kommt es auf eine Persönlichkeit hinaus." Das
alles in einer Zeit, wo es Wochenblätter noch gar nicht gab, wie zum
Beispiel - nein, keine Namen, wir wollen ein würdiges Jubiläum.

Von der Parteiabhängigkeit zur Konzernabhängigkeit?

Auch die Überparteilichkeit der Medien sollten wir eigentlich nicht
bedauern. Anstelle der heutigen unabhängigen Medien gab es noch bis vor gar
nicht so langer Zeit ausschliesslich die Parteipresse. Der "Bund" zum
Beispiel war bis weit ins 20. Jahrhundert hinein eine freisinnige Zeitung.
Dies galt als Qualitätsjournalismus. So wurde der "Bund" zum Beispiel ganz
besonders gelobt, weil die Protokolle (des rein freisinnigen) Bundesrats
hier offenbar genauer nachzulesen waren als in den jeweiligen
Verwaltungspapieren. Immer wieder hat der "Bund" seiner Leserschaft zur
Identitätsstützung die Werteordnung der FDP in Erinnerung gerufen. Die
Gesellschaft hat sich gewandelt, ist vielschichtiger, undurchsichtiger
geworden (wie die Werteordnung der FDP auch). Zeitungen, die diese
Entwicklung ignorierten, sind eingegangen. Überlebt haben Zeitungen, die
sich an den einst gesetzten Grundwerten orientieren, aber die Form angepasst
haben: Wer das Ziel "Demokratietauglichkeit der Leserschaft" ernst nimmt,
bereitet heute den politischen Stoff so auf, dass jede und jeder sich eine
eigene Meinung bilden kann. Und Journalisten, die sich an die
berufsethischen Regeln und das Unabhängigkeits- und Glaubwürdigkeitsgebot
halten, stellen für ihre Arbeit die allfällige, heute eher selten gewordene
Parteizugehörigkeit in den Hintergrund.

Diese Emanzipation von den politischen Parteien hat wohl auch mit deren
schwindender Autorität zu tun. Im Gegenzug scheint sich dagegen eine
Konzernabhängigkeit breit zu machen, die mit unabhängigem Journalismus wenig
gemein hat. So preist der "Tages Anzeiger" kritiklos seine konzerneigenen
Medienprodukte, während "Blick" diese meidet und dagegen PTV und SAT.1
thematisiert, denn Ringier ist dort beteiligt.

Veränderungen der Sprache

Wir bedauern den heutigen Trend zu Kurzfassungen und -ausdrücken. Es ist
statistisch erwiesen, dass mein Kollege Ogi dank seinem kurzen Namen viel
mehr in Überschriften vorkommt als ich mit meinem Namen, der einer
ausgezogenen Handorgel gleicht. Das stellt die Kollegialität im Bundesrat
auf eine harte Probe.

Es gibt aber auch Beispiele, die nachdenklicher stimmen: Heute lautet die
Überschrift: "XY tot", nicht mehr "XY ist gestorben". Das tut mir immer
etwas weh, weil das Adjektiv "tot" mich bereits an die kalte Leiche denken
lässt, fatalistischer und endgültiger wirkt als "gestorben", wo doch eher
der Abschied vom Leben, der Übergang zum Tod zum Ausdruck gebracht wird.
Hier hat die Form den Inhalt im Griff. Dieser Trend geht weiter. Die
Ueberschrift zum Heliunglück dieser Woche im Wallis lautete im "Blick": "8 ?
".

Doch dies zu bedauern, ist vielleicht Nostalgie. Es ist ja noch nicht lange
her, da wurde ein Journalist nach der Anzahl Zeilen honoriert, die er
schrieb. Wer mehr Wörter zu platzieren wusste, verdiente mehr und war damit
der bessere Journalist. War das besser? Kaum. Heute hat sich der Trend
gerade umgekehrt: Ein guter Journalist, eine gute Journalistin beherrscht
die Kunst sich kurz zu fassen, Leserinnen und Leser nicht mit
Geschwätzigkeiten zu überschütten. In Anlehnung an eine bekannte
Qualitätszeitung sagt man denn auch: "Kurz und bündig!"

Wandel nicht als Selbstzweck

Ich will mit diesen Beispielen nicht dem Wandel als solchem das Wort reden.
Auch der Wandel darf nicht Selbstzweck sein. Doch wenn der "Bund" eine
Qualitätszeitung bleiben soll, müssen die ursprünglichen Wertvorstellungen
in die Gegenwart übersetzt und es müssen neue Formen und Vehikel für sie
gesucht werden. Was könnte das für die Zukunft einer politischen
Tageszeitung heissen?

Neue Zeitungsformen: Konkurrenz und Chance für die politische Tageszeitung?

Neue Technologien schaffen neue Zeitungsformen: Millionen von
SMS-Nachrichten werden abonniert und ab dem Handy gelesen. Dank Internet
können zu jeder frei wählbaren Tageszeit Nachrichten zu speziell verlangten
Themen abgerufen und zu einer individuellen Zeitung zusammengestellt werden.

Die individuelle Zeitung aus dem Internet

Solch individuelle Zeitungen gibt es in traditioneller Form allerdings schon
längst. Firmen oder Verwaltungsabteilungen stellen sich so genannte
Pressespiegel zusammen. Ich selbst erhalte auch jeden Tag einen solchen
Pressespiegel mit Artikeln über Verkehr, Energie, Umwelt und vor allem mit
kritischen Kommentaren zu meiner Arbeit. Sie können sich also vorstellen,
wie umfangreich dieser Pressespiegel jeweils ist. So lese ich fast täglich
etwas von Herrn Giezendanner und Herrn Bodenmann, was mir aber durch -
ebenso eigens für mich zusammengestellte - Gastronomie- und Kulturbeiträge
versüsst wird. Dieses Privileg eines Bundesrates kann durch die
Internetzeitung demokratisiert werden.

Bedeutet dies nun eine Gefahr für die klassische Tageszeitung, die
einerseits zahlreiche Artikel druckt, die ich nicht lese, anderseits aber
auch nicht alle Artikel liefern kann, die ich gerne lesen möchte?

Ich bin nicht dieser Meinung. So wie neue Verkehrsformen alte nicht einfach
verdrängt haben, sondern zu einer Zunahme der Mobilität insgesamt geführt
haben - das Automobil hat die Eisenbahn nicht verdrängt, das Flugzeug hat
das Automobil nicht verdrängt und die Videokonferenz hat Geschäftsausflüge
auch nicht überflüssig gemacht -, so kreieren neue Medien neue
Konsumgewohnheiten oder dringen in Kreise vor, die zuvor überhaupt keinen
Zugang zu einem klassischen Medium gehabt haben. Entgegen aller
Prophezeiungen hat das Fernsehen die Zeitung zwar verändert, aber nicht
verdrängt.

Ich bin überzeugt, dass Spartenzeitungen, die sich Internetsurfer
zusammenstellen lassen, langfristig dazu führen, dass sich der Surfer mit
einer klassischen, ganzheitlichen Zeitung befreundet. Ich selbst las zum
Beispiel früher den Sportteil einer Zeitung nie. Durch den Pressespiegel
wurde ich aber auf einen Sportjournalisten aufmerksam, der sich auf sehr
humorvolle und literarisch hochstehende Art über eine Passage einer Rede von
mir lustig machte. Seither lese ich jeden Dienstag seine Kolumnen in der
NZZ, und so schweift mein Blick auch über die anderen Sportmeldungen. Mein
Horizont und mein Interesse wachsen und ich frage mich: Warum treffe ich die
eigentlich Young Boys in keiner Rangliste mehr an? Vielleicht sollte ich
zusätzlich den "Bund" konsultieren.

So hat mich ein Pressespiegel, eine Spartenzeitung also, zu einem
klassischen, ganzheitlichen Medium gebracht. Die klassischen süssen
Anregungen, eine Tageszeitung zu abonnieren, locken jedoch weiterhin. So
erhielt ich diese Woche ein persönliches Schreiben vom "Bund" in das
Bundeshaus Nord. "Sehr geehrter Herr Leuenberger, wenn Sie zu den 150
schnellsten Bestellern eines Neuabonnements gehören, schenken wir Ihnen ein
elegant verchromtes "Bund"-Schreibset. Sofort reagieren, lohnt sich doppelt.
" Wahrlich, Wettbewerb herrscht überall. Ich weiss nicht, ob ich das noch
schaffe, unter die 150 ersten zu kommen.

Gratiszeitungen

Die neuen Gratiszeitungen können für die traditionellen Tageszeitungen
ebenso eine Chance sein. Auch der Konsum blosser Nachrichten kann das
Bedürfnis wecken, ordnende Kommentare zu lesen und Meinungen zu kennen. Es
macht denn auch den Anschein, dass die auflagestarken neuen Gratiszeitungen
"Metropol" und "20 Minuten" nicht im selben Ausmass Leser anderer Zeitungen
verdrängen, wie sie neue Leser gewinnen. Je atomisierter Nachrichten
konsumiert werden, desto grösser wird das Bedürfnis und das Interesse nach
Übersicht, nach Begreifen und Ordnen der Zusammenhänge. Das zeigt, dass eine
politische Tageszeitung gegenüber ihrer bisherigen und einer allfälligen
neuen Leserschaft nur Bestand haben kann, wenn sie dieses Bedürfnis nach
Einordnung und Gewichtung ernst nimmt. Die Ansprüche an eine politische
Tageszeitung in unserer Demokratie sind enorm: Vernetzte Berichterstattung
und Kommentierung, ein weltumfassendes Korrespondentennetz, Qualität, sich
weiterbildende, um ethische Abwägung bemühte Journalisten, von den damit
verbundenen Kosten ganz zu schweigen. Es stellt sich die Frage, ob kleine
und mittlere Zeitungen diese enormen Ansprüche überhaupt noch erfüllen
können.

Allianzen können Selbständigkeit und Qualität sichern

Der Berner Medienprofessor Roger Blum ist in diesem Zusammenhang überzeugt,
Kooperationen kleinerer und mittlerer Zeitungen lägen "im Interesse des
demokratischen Diskurses". Er stellt die Autonomie in der Form, wie wir sie
heute kennen, in Frage.

Hier zeigt sich im gegenwärtigen Wandel eine weitere Parallele zwischen Bund
und "Bund", zwischen Ihrer Zeitung und unserem Staatswesen.

Autonomie des Kleinstaates

Für die Autonomie unseres Landes ist die internationale Zusammenarbeit
unabdingbar. Der so genannte autonome Nachvollzug von Beschlüssen, auf die
wir mangels Mitgliedschaft oder mangels bilateraler Verträge keinen Einfluss
hatten, ist nichts anderes als ein schrittweises Verkümmern der
Selbständigkeit. Erst durch internationale Allianzen, erst durch eine
Globalisierung der Politik sichern wir uns in einer Zeit globalisierter
Wirtschaft das Primat der Politik, den Einfluss auf Entscheide, die uns
selber betreffen.

Durch Allianzen können wir auch unsere Werte sichern. Ein ganz zentraler
Pfeiler der Eidgenossenschaft - die Neutralität - wird nur weiter tragen,
wenn er renoviert wird. Die Schweiz ist stolz darauf, mit ihrer Diplomatie
in vielen Konflikten der Welt vermittelt und Lösungen gefunden zu haben.
Diese Rolle wird zunehmend durch die UNO übernommen. Wollen wir auch in
Zukunft eine teilnehmende Nation sein, müssen wir heute als Teil einer
Staatengemeinschaft denken und handeln. Alles andere würde zur
Teilnahmslosigkeit und damit zu purer Gleichgültigkeit führen. Die
UNO-Abstimmung wird der Entscheid darüber sein, ob dieses Land seine
ursprüngliche historische Aufgabe, ein gerechtes, demokratisches
Zusammenleben von Menschen anzustreben, auch künftig erfüllen will.

Autonomie eines Bundesbetriebes im globalisierten Markt

Oder das Beispiel der Swisscom: Wer will, dass das Eigentumsverhältnis der
Swisscom bleibt, wie es heute ist, wird sich später vielleicht vorwerfen
lassen müssen, am finanziellen Niedergang dieser Firma und am Verlust von
Tausenden von Arbeitsplätzen mit verantwortlich zu sein. Wem hingegen an
einer starken Swisscom gelegen ist, der setzt sich mit der wirtschaftlichen
Realität der Telekommunikation auseinander und sucht nach Lösungen. Das kann
auch heissen, dass sie einmal Allianzen eingeht, vielleicht sogar mit
ausländischen Unternehmen.

Autonomie der politischen Tageszeitung

Auch beim "Bund", wie übrigens bei vielen anderen Tageszeitungen in der
Schweiz, werden Grenzen neu gezogen und müssen zementierte Vorstellungen und
Glaubenssätze auf ihre Tauglichkeit für die Gegenwart und Zukunft überprüft
werden. Grenzen sind wegen dem Internet gefallen: Sie sind nicht mehr nur
der "Bund", Sie sind auch der "e-Bund", der elektronisch in Ressorts oder
Autoren bzw. Autorinnen oder gar nur Stichworte auseinander gerissen werden
kann.

Grenzen sind wirtschaftlich gefallen: Sie sind nicht mehr die
Traditionszeitung, die viele Dutzende von Jahren im Besitz derselben Berner
Familie war, sondern Teil eines gesamtschweizerischen Medienverbundes. Sie
tauschen heute Artikel mit dem "St. Galler Tagblatt" aus, Sie arbeiten mit
regionalen Zeitungen zusammen, sie machen Koproduktionen mit der NZZ.

Mit solchen Allianzen und Kooperationen tun Sie etwas, das noch vor wenigen
Jahren undenkbar gewesen, als Identitätsverlust einer Zeitung klassiert oder
zumindest als Schwäche ausgelegt worden wäre. Es ist keine Schwäche, es wird
eine Stärke sein, die es Ihnen ermöglicht, die ursprünglichen Werte in die
Zukunft zu transportieren, nämlich die Schweizer Demokratie so kompetent zu
begleiten, dass Ihre Leserinnen und Lesern mündige Staatsbürger bleiben.

Bund und "Bund" bleiben ein unzertrennliches Paar

Bund und "Bund" werden auch künftig das selbe Ziel verfolgen. Die
Eidgenossenschaft ist als Demokratie definiert. Die politische Zeitung ist
das Medium der Demokratie, Medium unter den Staatsbürgern, Medium unter den
Amtsträgern und Medium für den Diskurs zwischen diesen beiden. Unsere
Politik ist in erster Linie ein Prozess und erst in zweiter Linie ein
Resultat. Für diesen demokratischen Prozess ist die politische Zeitung
unabdingbar. Sie ist also auch für unseren Staat unabdingbar.

Trotz allen Wandels, aller Globalisierung, aller Allianzen bleibt der Bund
ein eigenständiger demokratischer Nationalstaat. Er ist aber auf die
Demokratie und damit auf die qualitätsbewusste politische Tageszeitung
angewiesen.

Für diesen Beitrag möchte ich Ihnen heute abend gratulieren und danken.