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01.08. Kaspar Villiger: Umstrukturierungen kennt die Schweiz seit 700 Jahren

MEDIENMITTEILUNG

Es gilt das gesprochene Wort

Kaspar Villiger: Umstrukturierungen kennt die Schweiz seit 700 Jahren

"Wer definieren will, wohin er geht, muss wissen, woher er kommt." Unter
diesem Leitmotiv zog Bundesrat Kaspar Villiger am Nationalfeiertag auf
dem Rütli einen Vergleich zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart -
ohne dabei zu übersehen, dass historische Situationen oft vergleichbar,
aber nie gleich sind. Wirtschaften im gnadenlosen internationalen
Wettbewerb sei ein ständiger Kampf gegen die eigene Trägheit, gegen die
eigenen Ängste, gegen die natürliche Risikoscheu, führte der
Finanzminister unter anderem aus. Und: "Wären die Waldstätter bei der
Selbstversorgung geblieben und hätten sie nicht den Mut zur
tiefgreifenden Umstrukturierung aufgebracht, wären sie ein politisch
bedeutungsloses Entwicklungsland geblieben."

Der Abbau staatlicher Handelshemmnisse, der freie Kapitalverkehr, die
rasante Entwicklung der Informatik- und Kommunikations-technologien
sowie die Verbilligung der Transporte von Personen und Waren haben laut
Villiger zur Folge, dass heutzutage Kapital und Arbeitsplätze
zeitverzugslos dorthin verlagert werden können, wo bessere Bedingungen
vermutet werden. Die Arbeitsteilung werde mit fast beängstigender
Konsequenz weitergetrieben. Das unterwerfe Staat und Wirtschaft einem
permanenten Anpassungsdruck, schaffe aber ein enormes globales
Wohlstandspotential. Neu sei letzteres nicht, sagte Villiger: "Das war,
ausser von den Dimensionen und dem Tempo her, vor 700 Jahren nicht
grundlegend anders."

Historische Situationen seien zwar oft vergleichbar, aber nie gleich.
Und darum sei es riskant, direkte Lehren aus der Geschichte zu ziehen.
"Das Privileg, heute auf dem Rütli zu sprechen", habe ihn aber doch "in
Versuchung geführt", sagte der Finanzminister. Er glaube, dass in
veränderter Form in unserem Land noch heute Kräfte und Verhaltensweisen
wirksam seien, die auf jene Zeit im 12. und 13. Jahrhundert
zurückgingen. Natürlich sei die Gestaltung der Zukunft das vordringliche
Anliegen der Politik. Aber wer definieren wolle, wohin er gehe, müsse
wissen, woher er komme.

Wirtschaften im gnadenlosen internationalen Wettbewerb sei ein ständiger
Kampf gegen die eigene Trägheit, gegen die eigenen Ängste, gegen die
natürliche Risikoscheu. "Wir müssen uns immer wieder bewusst werden,
dass eine kleine offene Volkswirtschaft für ihren Wohlstand die
Globalisierung braucht, sie akzeptieren muss." Die Chancen der
Globalisierung seien grösser als deren Risiken, sagte Villiger. "Lernen
wir also von den Urner Bauern: Öffnung der Märkte, Nutzung neuer
Methoden, Arbeitsteilung, Handel über Grenzen hinweg, Mut zur
Umstrukturierung!"

Politische Kultur bedroht

Die Welt, so Villiger weiter, verändere sich in einem atemberaubenden
Tempo. Es stelle sich die Frage, ob unsere politische Kultur, also unser
Sonderfall, auch die Zukunft bewältigen könne. Festzutsellen sei, dass
diese politische Kultur aus verschiedensten Richtungen Anfechtungen
unterliege - so einem übersteigerten Individualismus, der Verabschiedung
vieler Wirtschaftsführer aus der Gesamtverantwortung für das
Gemeinwesen, der internationale Vernetzung, der Europäischen Union und
der Tendenz zu einer fundamentalistischen Polarisierungspolitik.

An sich hat Villiger gegen einen vernünftigen Individualismus nichts
einzuwenden. "Aber die zunehmende Tendenz vieler Menschen, vor allem für
sich zu schauen und sich um das Gemeinwesen zu foutieren, ist Gift für
eine Kultur der gelebten Solidarität. Zu viele stellen an den Staat nur
Forderungen, sind aber nicht bereit, dem Staat auch etwas zu geben."
Viele jüngere Gutverdienende zögen eine rein individuelle Altersvorsorge
der solidarischen AHV vor. Und über die Steuern würden vor allem solche
schimpfen, die sie bestens bezahlen könnten. Eine Schweiz ohne praktisch
gelebte Solidarität würde den Zusammenhalt verlieren, warnte Villiger.
"Wir tun gut daran, uns dessen wieder vermehrt bewusst zu werden."

Unabhängigkeit am Schwinden

Anderseits hielt der Finanzminister auch fest, dass die internationale
Vernetzung unausweichlich sei: "Ein Land kann viele der drängendsten
Probleme allein nicht mehr lösen. Ich erwähne nur das Asyl- oder
Umweltproblem. Zusammenarbeit wird nötig, und es bilden sich neue
Zusammenarbeitsformen, etwa in grossen Wirtschaftsräumen oder in
internationalen Organisationen." Autonomie und Unabhängigkeit im
eigentlichen Sinne gebe es auch für grosse Staaten immer weniger. Das
sei für ein Volk, das seit der Befreiung vor 700 Jahren auf nichts so
viel Wert gelegt habe, wie auf Unabhängigkeit, schwer zu verkraften.
Villiger: "Trotzdem müssen wir dieser Tatsache in der Tagespolitik
Rechnung tragen."

Eidg. Finanzdepartement
01.08.2000