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CONFOEDERATIO HELVETICA
Die Bundesbehörden der Schweizerischen Eidgenossenschaft

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Neue Beschlüsse zum Kosovo-Konflikt

Bundesrat hält an humanitärer Flüchtlingspolitik fest, will aber
gleichzeitig die Attraktivität der Schweiz senken

Der Bundesrat hält weiterhin an der humanitären Tradition der Schweiz
und an der Aufnahme von Flüchtlingen, die an Leib und Leben gefährdet
oder unmenschlicher Härte ausgesetzt sind, fest. Er hat aber am Montag
nach einer umfassenden Erörterung des Kosovo-Konflikts und seiner
Auswirkungen auf die Schweiz beschlossen, in Anbetracht des Umfanges des
Kosovo-Flüchtlingsdramas und der mangelnden internationalen Kooperation
durch die Ausarbeitung von Notrecht die Attraktivität der Schweiz zu
senken.

Die Ausgangslage

Der Kosovo-Konflikt beschäftigt die Schweizer Behörden und die
Öffentlichkeit in hohem Mass. Die Bereitschaft, den Kriegsvertriebenen
zu helfen, ist weitherum vorhanden, und bisher konnte der
Flüchtlingsstrom - wenn auch mit Schwierigkeiten - im Rahmen der
normalen Strukturen bewältigt werden. Es ist jedoch damit zu rechnen,
dass sich die Zahl der Kriegsvertriebenen, die in die Schweiz kommen,
massiv erhöhen wird und dass die Aufnahmekapazitäten, die auf höchstens
60 000 Aufnahmen pro Jahr ausgerichtet sind, bald nicht mehr genügen
werden - zuerst beim Bund, dann bei den Kantonen. Das Verhältnis
Bund-Kantone wird dadurch einer harten Belastungsprobe ausgesetzt, und
auch die politische Akzeptanz in der Öffentlichkeit ist gefährdet.
Gesundheitliche, sicherheitspolitische, schulische, soziale und
finanzielle Probleme werden zunehmen.

Die Strategie des Bundesrates

Vor diesem Hintergrund legte der Bundesrat am Montag Ziele und
Instrumente seiner Strategie fest. Er beschloss,  an der humanitären
Tradition der Schweiz und an der Aufnahme von Flüchtlingen, die an Leib
und Leben gefährdet
oder die unmenschlicher Härte ausgesetzt sind, festzuhalten. Angesichts
des Ausmasses des Flüchtlingsdramas  und der fehlenden internationalen
Kooperation wird er durch notrechtliche Massnahmen die Attraktivität der
Schweiz senken. Er ist gleichzeitig bereit, Massnahmen zur
Gewährleistung der inneren Sicherheit und Ordnung zu treffen. Der Hilfe
vor Ort, soweit sie geeignet ist, den möglichen Flüchtlingszustrom in
die Schweiz zu reduzieren, misst der Bundesrat weiterhin besondere
Bedeutung bei. Er wird sich des ganzen aussenpolitischen
Instrumentariums bedienen, um sich für eine ausgewogene Lastenverteilung
unter den westeuropäischen Ländern bei der Aufnahme von Flüchtlingen
einzusetzen und eine Weiterwanderung in die Schweiz einzudämmen. Er
betrachtet die enge Zusammenarbeit vor allem mit den Kantonen, aber auch
mit den Hilfswerken,
Kirchen und kosovo-albanischen Vereinigungen als unabdingbar, um eine
mögliche Krise im Aufnahmebereich von Flüchtlingen zu bewältigen. Er
stellt schliesslich sicher, dass die im Zusammenhang mit dem
Kosovo-Konflikt ergriffenen Massnahmen innenpolitisch konsensfähig sowie
wirtschaftlich und finanziell verkraftbar sind.

Sofortmassnahmen

Im einzelnen fasste der Bundesrat am Montag die folgenden Beschlüsse:

1. Sowohl für die Bewachung der diplomatischen Vertretungen in der
Schweiz wie auch für die Betreuung von Kriegsvertriebenen soll weiterhin
Militär eingesetzt werden. Dafür stellt  das Eidgenössische Departement
für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) dem Eidgenössischen
Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) ein Kontingent von maximal 800
Angehörigen der Armee zur Verfügung, dessen Einsatzprioritäten durch den
Sicherheitsausschuss des Bundesrates festgelegt werden. Der Bundesrat
nahm zur Kenntnis, dass für diese Dienstleistung ein zusätzliches
Aufgebot von Teilen der Alarmformationen, die Vorverlegung der
Dienstleistung von ca. drei Regimentern aus dem Jahre 2000 auf Ende 1999
und die Pikettstellung eines Infanterieregimentes über
Weihnachten/Neujahr notwendig ist. Dieser Einsatz wird als
Assistenzdienst geleistet und dauert vom 1. Juli 1999 bis längstens
30.April 2000. Das VBS wird ermächtigt, im Rahmen des Voranschlages 1999
einen Nachtragskredit oder gegebenenfalls Kreditüberschreitungen zu
beantragen.
2. Der Bundesrat behält sich vor, für die Betreuung von Asylsuchenden
oder für die Bewältigung anderer subsidiärer Aufgaben zusätzliche
Truppen ausserhalb des normalen Dienstleistungsplanes 1999 aufzubieten.
Diese zusätzlich aufzubietenden Truppen würden einen vierwöchigen
Assistenzdienst, mit Anrechnung an die Dienstleistungspflicht, leisten.
3. Das EJPD wird beauftragt, in Zusammenarbeit mit den zuständigen
Departementen eine Notverordnung gemäss Artikel 9 AsylG vorzubereiten,
inklusive Regelungen über Beschränkungen beim Zugang zum Arbeitsmarkt
und zu den Leistungen im Gesundheits- und Bildungsbereich. Bei diesen
Bestimmungen stehen der verstärkte Einbezug privater Aufnahmekapazitäten
und die Schaffung neuer Strukturen für die Unterbringung im Vordergrund.
Danach müssen überzählige Personen warten, bis sie in das Asylsystem
aufgenommen werden können. In der Zwischenzeit sind alle Möglichkeiten
im Rahmen der jetzigen Asylgesetzgebung auszuschöpfen. Das EJPD wird
ferner beauftragt, dem Bundesrat vor den Sommerferien die Ergebnisse zu
unterbreiten, nachdem es mit den zuständigen kantonalen Ansprechpartnern
eine Vorbereitungskonferenz über die einzuleitenden Massnahmen
durchgeführt hat. Anschliessend hat das EJPD - vor oder kurz nach den
Sommerferien - eine nationale Asylkonferenz mit den Kantonen
einzuberufen.
4. Das Eidgenössische Departement für Auswärtige Angelegenheiten (EDA)
wird beauftragt, die Nothilfe-Aktionen in der Konflikt-Region zu
verstärken und Massnahmen besonders zu fördern,  die eine
Weiterwanderung von Flüchtlingen in die Schweiz eindämmen.
Längerfristige Aufbau- und Entwicklungsprogramme sowie Finanzhilfen von
Bundesstellen im Balkan sollen auf ihre Synergiewirkung zur Eindämmung
von Flüchtlingsströmen hin überprüft bzw. darauf ausgerichtet werden.
Das EDA und das EJPD haben bis zu den Sommerferien das bestehende
"Rückkehrprogramm Kosovo" zu ergänzen und der neusten Entwicklung
anzupassen.
5. Das EDA wird beauftragt, die Regierungen der Nachbarländer weiterhin
mit Nachdruck auf die migrationspolitische Situation der Schweiz im
Zusammenhang mit dem Kosovo-Konflikt hinzuweisen und auf ein besseres
"burden sharing" hinzuwirken sowie auch in seiner Informationspolitik
gegenüber dem Ausland die entsprechenden Akzente zu setzen und über die
schweizerischen Leistungen zur Bewältigung der Krise zu informieren.

Keine Grenzbewachung durch die Armee

Einen Entscheid, die Grenzkontrollorgane durch Armeeeinheiten so zu
verstärken, dass sich die illegale Immigration massiv reduzieren liesse,
betrachtet der Bundesrat nach wie vor nicht als sinnvoll. Um eine
nachhaltige Abhaltewirkung zu erzielen, bräuchte es eine praktisch
lückenlose Überwachung der Grenze, die nur mit einem massiven Aufgebot
von zusätzlichen Truppen zu erreichen wäre. Ein solcher Schritt würde
als Abschottung verstanden und hätte massive Verkehrsbehinderungen mit
unerwünschten Auswirkungen auf Wirtschaft, Tourismus und Grenzgänger zur
Folge. Für den Bundesrat kommt die Armee an der Grenze nach wie vor nur
als ultima ratio in Frage. Hingegen soll die punktuelle Verstärkung der
Grenzorgane geprüft werden.

Bern, 31. Mai 1999
EIDGENÖSSISCHES JUSTIZ- UND POLIZEIDEPARTEMENT
INFORMATIONS- UND PRESSEDIENST