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CONFOEDERATIO HELVETICA
Die Bundesbehörden der Schweizerischen Eidgenossenschaft

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Rede von Bundesrat Arnold Koller vor der Vereinigten Bundesversammlung anlässlich der offiziellen Verabschiedung

Es gilt das gesprochene Wort

Rede von Bundesrat Arnold Koller vor der Vereinigten Bundesversammlung
anlässlich der offiziellen Verabschiedung

11. März 1999

Frau Nationalratspräsidentin,
Herr Ständeratspräsident,
verehrte Damen und Herren National- und Ständeräte,
Frau Bundespräsidentin,
liebe Kollegen im Bundesrat

Vor bald 28 Jahren habe ich hier als junger Nationalrat auf unsere
Verfassung geschworen und vor gut 12 Jahren die Annahme der Wahl in den
Bundesrat erklärt. Ich habe einen guten Teil meines Lebens in diesem
Saal verbracht. Heute bin ich mir bewusst: Parlamentarierinnen und
Parlamentarier, Bundesrätinnen und Bundesräte prägen das Bild unserer
Institutionen. Noch mehr aber formen die staatlichen Institutionen uns.
Wir alle sind - mehr oder weniger artige - Kinder dieses Hauses, und
einige werden im Verlaufe der Jahre dessen Väter und Mütter. Wir erleben
hier gemeinsam politische Höhepunkte, glücklicherweise wenig
Tiefschläge, vor allem aber leisten wir, wie unsere Mitbürgerinnen und
Mitbürger, viel ganz gewöhnliche Arbeit.
Die bei uns immer noch vorherrschende Kultur des konstruktiven Dialogs,
des ”Me moss halt rede mitenand”, ist in unserem Volk tief verankert und
hat bisher allen Versuchungen zu einem Stil der sterilen politischen
Konfrontation erfolgreich widerstanden. Nicht zuletzt diesem wertvollen
politischen Erbe verdanken wir bis heute Wohlfahrt und Wohlergehen, um
die uns viele beneiden.
Heute, da ich Ihnen, meine Damen und Herren National- und Ständeräte,
das mir anvertraute Amt zurückgebe, möchte ich vor allem danken. Danken
für die anerkennenden Worte Ihrer Präsidentin, die mich, meine Frau und
Familie freuen und ehren. Ich möchte diese präsidiale Anerkennung mit
den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in beiden Departementen,
die ich führen durfte, teilen. Denn ohne ihre tatkräftige und loyale
Unterstützung wären die genannten Leistungen nicht zustande gekommen.
Danken möchte ich auch allen heutigen und früheren Kolleginnen und
Kollegen im Bundesrat für den guten Geist der politischen
Auseinandersetzungen, die wir jede Woche im Interesse des Landes führen.
Sicher, wir waren und sind alle recht verschieden. Aber hierin liegt ja
gerade der Reiz und die Stärke des Kollegialsystems. Im übrigen haben
gerade die letzten Volksabstimmungen gezeigt, dass nur Einigkeit den
Bundesrat stark macht. Der Dank geht auch an die Vertreter der
Bundeskanzlei für ihre bereitwillige Unterstützung des Bundesrates.
Die Eidgenössischen Räte sind unsere vorgesetzte Behörde. Daraus ergibt
sich ein gewolltes staatspolitisches Spannungsfeld, das aber gerade in
der direkten Demokratie nur in vertrauensvoller Zusammenarbeit
überbrückt werden kann. Denn der Bundesrat ist sowohl auf die aus dem
Volk übermittelten Signale des Parlaments als auch auf dessen
Unterstützung vor dem Volk angewiesen. Ohne dieses kritische
Zusammenwirken, für das ich Ihnen aufrichtig danke, wäre das grosse
Gesetzgebungswerk, das ich mit Ihnen in den letzten Jahren realisieren
durfte, Wunschdenken der Regierung geblieben.
Einzig in der Asylpolitik, diesem schwierigsten und aufwendigsten
Dossier meines Departements, liefen und laufen wir Gefahr, zu wenig
aufeinander zuzugehen. Dabei hat unser Volk klar gemacht, dass es an
unserer humanitären Tradition festhalten, aber auch Missbrauch
konsequent bekämpfen will.
Insgesamt kann ich nach 28 Jahren, die ich in diesem Haus ein- und
ausging, sagen: Die Eidgenössischen Räte sind weit mehr als eine
Schmiede für helvetische Kompromisse. Sie sind ein Ort der politischen
Kreativität und - obwohl ein Milizparlament - auch zu ausserordentlichen
Leistungen fähig, wenn ich an Eurolex und jetzt an die Verfassungsreform
denke. Vor allem aber sind sie auch ein Ort wertvoller menschlicher
Begegnungen, die allen politischen Kleinkrieg überstrahlen.
Die markantesten Erinnerungen meiner Bundesratszeit werden erfolgreiche
und misslungene Volksabstimmungen bleiben. Die direkte Demokratie ist
für die Schweiz, der es an natürlichen Klammern wie Sprache oder
Religion weitgehend fehlt, ein identitätsstiftendes Wesensmerkmal. Sie
hat als Eigenheit unseres Staatswesens eine grosse Zukunft, wenn wir uns
bewusst bleiben, dass ihre konkrete Ausgestaltung auch künftig, wie in
der Vergangenheit, nicht tabuisiert werden darf. Denn wenn Sie mir einen
Vergleich mit der Landsgemeinde, die mein politisches Leben mehr als
alles andere geprägt hat, erlauben: Die direkte Demokratie wird
längerfristig nur lebendig bleiben, wenn sie sich neuen
Herausforderungen anpasst. Wenn wir diesen Mut und die notwendige
Erneuerungskraft haben, wird unsere direkte Demokratie nicht nur im
Inland, sondern auch im Ausland neue Ausstrahlungskraft erhalten. Denn
es ist unschwer abzusehen, dass die direkte Demokratie - in welcher Form
auch immer - das massgebliche Demokratiemodell des 21. Jahrhunderts
werden wird.
Tragen wir also Sorge zu unserer direkten Demokratie, gerade auch bei
weiteren Integrationsschritten in Europa. Damit sie ihre grundlegende
Rolle für die Schweiz beibehalten kann, braucht es aber mehr als eine
institutionelle Weiterentwicklung. Es braucht vor allem auch den
gegenseitigen Respekt der Minderheiten und Mehrheiten in unserem Land.
Für die Schweiz als von Natur heterogenem Vielvölkerstaat wird
entscheidend sein, dass wir das Gemeinsame und Verbindende nicht aus den
Augen verlieren. Nehmen wir daher jede Chance wahr, das Verbindende
sichtbar zu machen. Eine solche Chance bietet auch die neue
Bundesverfassung.
Unser Volk hat sich im Verlaufe der Geschichte immer wieder durch grosse
staatspolitische Reife und immense Schaffens- und Innovationskraft
ausgezeichnet. Wenn wir die Kraft erhalten, uns immer wieder zu
erneuern, wird unser Land auch in einer veränderten Umwelt eine grosse
Zukunft haben. Hiefür wünsche ich Volk und Behörden Glück und Gottes
Segen.