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Die Bundesbehörden der Schweizerischen Eidgenossenschaft

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Nationalratspräsidentenfeier von Frau Trix Heberlein vom 2.12.1998

ES GILT DAS GESPROCHENE WORT

Ansprache von Bundesrat Arnold Koller anlässlich der
Nationalratspräsidentenfeier von Frau Trix Heberlein vom 2. Dezember
1998 in Zumikon

Sehr verehrte Frau Nationalratspräsidentin, liebe Trix

Es ist mir eine Ehre und grosse Freude, Ihnen, Frau
Nationalratspräsidentin, Dir liebe Trix, in Anwesenheit eidgenössischer
und zürcherischer Behörden, den Kolleginnen und Kollegen aus dem
National- und Ständerat die Glückwünsche des Bundesrates zu Ihrer
glänzenden Wahl als Präsidentin des Nationalrates zu überbringen. Sie
üben damit für ein Jahr das höchste Amt aus, das die schweizerische
Eidgenossenschaft zu vergeben hat. Der Bundesrat wünscht Ihnen bei der
Ausübung Ihres hohen Amtes eine glückliche Hand und freut sich auf eine
gute Zusammenarbeit.

Im Namen der Landesregierung begrüsse ich, sehr verehrter Herr
Regierungspräsident, Regierung, Behörden und Volk des selbstbewussten
Kanton Zürich. In diesem Zusammenhang habe ich mich als
Appenzell-Innerrhoder übrigens gefragt, wie eine Ausserrhoderin in
Zürich zur 48. freisinnigen Präsidentin des Nationalrates werden konnte.
Da stellt sich in der Tat spontan Verwunderung und Bewunderung ein.
Verwunderung allerdings nicht wegen des Freisinns. Diese
Wahlverwandtschaft zwischen Zürich und Appenzell Ausserrhoden ist
historisch wohl dokumentiert und hält, wie Frau Landammann Kleiner als
neue Vizepräsidentin zeigt, bis heute an. Die Bewunderung betrifft die
politische Karriere der Ausserrhoderin in Zürich, und dann erklärt diese
erst noch keck, eigentlich nie politische Ambitionen gehabt zu haben.
Dieses Understatement ist freilich mehr appenzellisch als zürcherisch,
was mich natürlich freut. Denn bei derlei Gelegenheiten betonen wir - im
Unterschied zum neckischen Alltag - ja gerne das gemeinsam
Appenzellische der beiden getrennten Rhoden.

Worin liegt das wahre Erfolgsgeheimnis der neuen
Nationalratspräsidentin? Selbstbewusst sei sie und der klaren Meinung,
Frauen müssten den Männern nicht immer den Vortritt lassen. Dass es in
Zürich eine gehörige Portion Selbstbewusstsein braucht, um Karriere zu
machen, verwundert keinen Nicht-Zürcher. Und den Frauen in der Politik
den Vortritt zu lassen, haben - ausser bei Bundesratswahlen - inzwischen
sogar die Freisinnigen gelernt.

Dass Du übrigens den Männern nicht gerne den Vortritt lässt, musste ich
in den letzten Jahren zunehmend am britisch-schweizerischen
Parlamentarier Skirennen in Davos erfahren, wo Du Dich - Gott sei Dank -
zu einer meinen männlichen Stolz antreibenden echten Rivalin entwickelt
hast. Britische und schweizerische Parlamentarier sind jedenfalls
erfreut und stolz, unsere Nationalratspräsidentin im Januar in dem Dir
lieben Davos am Start zu sehen.

Wir Politiker dürfen es uns aber auch bei der Ergründung des
Erfolgsgeheimnisses der neuen Nationalratspräsidentin nicht zu einfach
machen. Denn gesundes Selbstbewusstsein allein genügt auch in Zürich
nicht für eine solche Bilderbuchkarriere. Da helfen andere Etiketten
schon eher weiter: In der Bibel heisst es zwar: Du sollst Dir kein Bild,
kein Abbild von Gott und den Menschen machen. Aber wenn es noch eines
Beweises bedurft hätte, dass die Bibel die Politik kaum mehr
beeinflusst, ist es dies: Je höher eine Politikerin oder ein Politiker
steigt, umso mehr wird sie bzw. er etikettiert. Deshalb wird in der
Politik die Verpackung ja auch zunehmend wichtiger als der Inhalt. Mehr
als eine leichtfertig angeklebte Etikette ist sicher Deine viel gerühmte
(echt appenzellische) Zähigkeit und, wie es Deine ostschweizerische
Fraktionskollegin, Ständerätin Forster, ausdrückte "hohe Fachlichkeit
und Sachlichkeit". Genau so habe ich Dich in der Tat als Mitglied der
Rechts- und Präsidentin der staatspolitischen Kommission erlebt. Und ich
bin heute noch stolz darauf, dass es uns gelungen ist, das zwingende
Völkerrecht, wo es um den Schutz der höchsten Rechtsgüter von Leib und
Leben geht, als Schranke selbst der von uns hoch geschätzten
Volkssouveränität zu etablieren.

Der Bundesrat setzt denn auch grosse Erwartungen auf Ihre
Präsidentschaft, haben Sie doch selber in Ihrer Antrittsrede erklärt, es
gehe Ihnen vor allem darum, wichtige Sachgeschäfte "über die Runden" zu
bringen. Und an solchen wird es im letzten Jahr der Legislatur sicher
nicht fehlen. Zwar waren Volk und Stände Bundesrat und Parlament in
Volksabstimmungen in dieser Legislatur wohl gesinnt wie noch nie, haben
sie doch in 87 % der Abstimmungen ihren Empfehlungen Folge geleistet.
Aber man sollte gerade in der Politik den Tag nie vor dem Abend loben.
Denn wir haben noch einige grosse Brocken vor uns, wobei ich nicht nur
an die Bundesverfassung denke, sondern auch an die bilateralen
Verhandlungen mit der EU, die Hochschul- und Forschungsförderung und
vieles andere mehr. Aber wie gesagt, der Bundesrat ist voller
Zuversicht: die Trix wird's mit ihrer zielgerichteten Zähigkeit, ihrer
Sachkompetenz und ihrem Charme schon richten!

Da ich dieses schönste Amt, das die Eidgenossenschaft zu vergeben hat,
selber auch ein Jahr lang ausüben durfte, sei mir immerhin ein Rat an
Sie, verehrte Nationalratspräsidentin, erlaubt. Überraschungen sind im
Nationalrat - das wissen wir alle - eigentlich selten. Ich fürchte, dass
daran selbst das neue Recht des Bundesrates, ebenfalls Zwischenfragen
stellen zu dürfen, auch nichts grundlegend ändern wird. Eine wichtige
Überraschung ist für die Präsidentin des Nationalrates aber jederzeit
möglich: der Stichentscheid. Für diese politisch heikle Situation eines
sonst unpolitischen Amtes hat unser Bundesstaat in den 150 Jahren seiner
Existenz glücklicherweise auch gewisse Regeln entwickelt, die, wie ich
meine, aber wegen desuetudo (Nicht-Anwendung) Gefahr laufen, ausser
Übung zu geraten. In einer solchen Situation empfiehlt sich immer noch,
den Stichentscheid zugunsten des Bundesrates zu geben. Denn wie Sie,
Frau Nationalratspräsidentin zu Recht erklärt haben, ist es höchste
Zeit, dass Bundesrat und Parlament in der Politik wieder die
Themenführerschaft übernehmen. Zudem macht es sich wirklich gut, wenn
sich die neben dem Volk oberste Gewalt des Bundes mit der leitenden
Behörde der Eidgenossenschaft in Übereinstimmung weiss. Der Bundesrat
baut jedenfalls auf Sie, Frau Nationalratspräsidentin!

Wahljahre wie das kommende treiben auch im Ratsbetrieb ihre Blüten. Da
ist es besonders wichtig, dass sich die Präsidenten nicht auch nervös
machen lassen, sondern mit Augenmass und Gelassenheit den Rat
zielbewusst führen und bei turbulenten Situationen über den Dingen
stehen. Solche Gelassenheit gewinnt man nicht zuletzt durch historischen
Rückblick:

Vor genau 100 Jahren gab es im Dezember nur eine Sitzung des
Ständerates, der Nationalrat machte Pause. Dagegen trafen sich in der
Nähe des damaligen Parlamentes ziemlich auf den Tag genau vor 100 Jahren
die Jurymitglieder zur Bestimmung des Gewinners des Wettbewerbes für ein
Denkmal der drei Eidgenossen auf dem Rütli im neu zu errichtenden
Parlamentsgebäude. In Abwesenheit des Departementschefs präsidierte der
Architekt unseres Bundeshauses, Hans W. Auer, die Kommission, in deren
Protokoll zu den über 40 Eingaben zu entnehmen ist: "Die drei
Eidgenossen sind in den meisten der ausgestellten Projekte in Raufbolde
eines Melodramas oder in eine Gruppe Opernsänger, welche mit unmöglichen
Körperbewegungen das Schluss-C herausschreien, verwandelt: einige haben
Haltung von Verschwörern, die auf ihren gegen die Zuschauer gerichteten
Degen ihren Eid ablegen, oder wie eine Gruppe von Figuren, welche
gegenseitig aneinander geklammert, einen furchtbaren Schwur brüllen,
kurz, das Komische und das Lächerliche streifen einander".

Natürlich wurde damals kein Entscheid gefällt, lediglich eine Vorauswahl
getroffen. Nur ganz übel gesinnte Leute werden hier Parallelen zur
heutigen Zeit ziehen. 1902, vier Jahre später, wurde zwar ein Entscheid
gefällt, aber nicht vollzogen. 1910, begleitet -  wie könnte es anders
sein - von Skandalrufen, entschied sich der Bundesrat (!) für den dann
ausgeführten schönen Entwurf von Vibert.

Mögen die Behörden und das Volk nächstes Jahr entscheidungsfreudiger
sein. Frau Nationalratspräsidentin, liebe Trix, Du stehst vor einer
anspruchsvollen, aber auch schönen, bereichernden Aufgabe. Der Bundesrat
wünscht Dir, dem Stand Zürich und dem ganzen Land von Herzen ein
glückliches und erfolgreiches Präsidialjahr.