Schweizer Wappen

CONFOEDERATIO HELVETICA
Die Bundesbehörden der Schweizerischen Eidgenossenschaft

Homepage
Mail
Suche

Abstimmung Volksinitiative S.o.S.-Einleitungsvotum von Bundesrat Koller an PK vom 7.4.98

Abstimmung über die Volksinitiative S.o.S. Schweiz ohne Schnüffelpolizei
Einleitungsvotum von Bundesrat Koller an der Medienkonferenz
vom 7. April 1998

Anrede

Am kommenden 7. Juni 1998 sind die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger
aufgerufen, neben zwei anderen Vorlagen über die Volksinitiative "S.o.S.
Schweiz ohne Schnüffelpolizei" abzustimmen. Sie müssen - salopp
ausgedrückt - darüber entscheiden, ob die politische Polizei abgeschafft
werden soll, die es seit dem Erlass der sogenannten "vorläufigen
Negativliste" am 19. Januar 1990 nicht mehr gibt, die aber nach dem
Verständnis der Initianten ein Verbot jeder präventiven Polizei auch auf
den Gebieten des Terrorismus, der Spionage und des gewalttätigen
Extremismus sowie des organisierten Verbrechens beinhaltet.

Blenden wir in den Dezember 1989 zurück: Die parlamentarische
Untersuchungskommission PUK EJPD macht publik, die Bundesanwaltschaft
habe eine Kartei über 900'000 Personen angelegt, in welcher ohne klaren
Auftrag neben wichtigen viele belanglose und unnötige Informationen
eingetragen sind. Neben erwiesenen Fakten stehen unbelegte Vermutungen.
Viele Einträge sind längst überholt. Diese sogenannte Fichenaffäre
erzürnte damals verständlicherweise zahlreiche Bürgerinnen und Bürger.
Die Forderung nach Behebung der Mängel war berechtigt.

Der Bundesrat handelte rasch. Ohne Wenn und Aber übernahm er die
Verantwortung  und sicherte rasche Abhilfe zu. Ich zitiere aus seiner
Stellungnahme vom 4. Dezember 1989:

"Der Bundesrat bedauert, dass die gesammelten Daten teilweise belanglos,
überholt und unzutreffend sind. Wir haben davon Kenntnis genommen, dass
das EJPD bereits Massnahmen getroffen hat, damit unrichtige oder
überholte Informationen entfernt werden. ... Wir anerkennen, dass es die
politisch verantwortlichen Behörden in der Vergangenheit versäumt haben,
den allgemeinen Polizeiauftrag ständig zu aktualisieren und zu
konkretisieren. Der Staat ist zu seinem Schutz auf eine präventive
polizeiliche Tätigkeit angewiesen. Diese muss jedoch auf die aktuelle
Bedrohungs-lage ausgerichtet werden. Das Sammeln und Auswerten von
Informationen ist strikt auf diese Bedürfnisse zu beschränken. Wir
stimmen mit der PUK auch darin überein, dass eine sachfremde Verwendung
von Informationen vermieden werden muss." (BBl 1990 I 889 f.)

Diese Erklärung vermochte die Mehrheit der Räte zu überzeugen, wie sich
bei der Beratung des Berichts und der Vorstösse der PUK, der Fraktionen
und einzelnen Parlamentarier zeigte. Zu Recht, denn wir haben die
Absichten in Taten umgesetzt:

· Am 19. Januar 1990 erliess ich als Sofortmassnahme die Richtlinien für
Meldungen der Kantone und Informationsbearbeitungen bei der
Bundesanwaltschaft im Bereiche des Staatsschutzes (vorläufige
Negativliste). Ich hatte sie am gleichen Tag mit den Kantonen an einer
ausserordentlichen Konferenz der kantonalen Justiz- und
Polizeidirektoren diskutiert und bereinigt.
· Am 5. März 1990 erliess der Bundesrat die Verordnung über die
Behandlung von Staatsschutzakten des Bundes, mit der die schon vorher
eingeleitete Einsicht in die Fichen und Dossiers geregelt wurde.

Angesichts dieser raschen und zielgerichteten Massnahmen war die
Initiative S.o.S. Schweiz ohne Schnüffelpolizei eigentlich schon
überflüssig, als sie im April 1990 lanciert wurde. Sie ist aber
endgültig überholt, seit das Parlament am 21. März 1997 das Bundesgesetz
über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit verabschiedet hat,
das erstmals eine ausführliche gesetzliche Regelung des Staatsschutzes
bringt und das der Bundesrat nach Ablehnung der S.o.S.-Initiative durch
Volk und Stände in Kraft setzen wird.

Politisch bedeutsam ist in diesem Zusammenhang, dass schon die PUK-EJPD
in ihrem Untersuchungsbericht festgehalten hat:

"Der Staat ist zu seinem Schutz auf eine präventive polizeiliche
Tätigkeit angewiesen. Vorkehrungen, die auf eine widerrechtliche
Änderung der staatlichen Ordnung mit Gewalt und ohne Einhaltung der
demokratischen Mittel zielen, sind frühzeitig zu erkennen und
entsprechend zu bekämpfen. Dafür ist eine präventive Erfassung von
Vorgängen im Vorfeld strafbarer Handlungen erforderlich, die allenfalls
erst in einem späteren Zeitpunkt - in Kombination mit weiteren
Erkenntnissen - relevant werden. Dies führt notwendigerweise dazu, dass
der Kreis der beobachteten Personen und Organisationen weiter gezogen
wird, als es von der aktuellen Bedrohungslage her erforderlich wäre.
Ebenso ist unvermeidlich, dass auch Dritte erfasst werden, die völlig
unbeteiligt sind und es auch bleiben." (PUK-Bericht S. 165f)
Das Bundesgericht hat sodann in zwei Leitentscheiden im Jahre 1991
ausdrücklich festgehalten, dass "dem Bund als Gemeinwesen grundsätzlich
die Kompetenz zusteht, für seine innere und äussere Sicherheit zu
sorgen. Diese Zuständigkeit fällt dem Bund wegen seiner Staatlichkeit
als notwendige mitgegebene primäre Staatsaufgabe zu und ist im Bestand
des gesamtschweizerischen Gemeinwesens als solchem begründet
(BGE 117 Ia 211)

Wenn das S.o.S.-Komitee heute behauptet, die Bundespolizei und die
kantonalen Dienste arbeiteten wie vor dem Fichenskandal, so darf ich dem
die Wertung der Geschäftsprüfungsdelegation beider Räte entgegenhalten,
die seit 1992 mit umfassenden Einsichtsrechten den Staatsschutz
kontrolliert und die Arbeit der Bundespolizei wie folgt würdigt.
Ständerat Danioth hat als Berichterstatter über die ersten Jahre der
Tätigkeit der Delegation folgenden Schluss gezogen:

"Die Bevölkerung darf auch wissen, dass niemand, der sich an unsere
Gesetze hält, etwas zu befürchten hat. Dabei wird jeder wohlmeinende -
ich betone: wohlmeinende - Kritiker auch zugestehen, dass Fehler wie in
jeder anderen menschlichen Einrichtung in Zukunft ebenfalls nicht zu
vermeiden sind. Er darf aber auch die Gewissheit haben, dass eine
Fehlentwicklung wie in der Vergangenheit mit Sicherheit verhindert
werden kann. Der schweizerische Staatsschutz gehört heute zu den am
straffsten geführten und am stärksten kontrollierten Geheimdiensten. Er
verdient daher das Vertrauen auch des Parlamentes und unseres Volkes."
(Amtliches Bulletin Ständerat 1996 500)

Zum gleichen Ergebnis sind die departementalen Kontrollen gekommen, die
unter der Leitung meines Generalsekretärs - ebenfalls seit 1992 -
durchgeführt werden. Die Bundespolizei arbeitet gut und effizient. Dass
diese Kontrollen kritisch und gründlich vorgenommen werden, ersehe ich
daraus, dass mir Jahr für Jahr auch Verbesserungen empfohlen werden.

Eines steht also fest: Diejenigen aussenstehenden Personen, die
umfassenden Einblick in die Tätigkeit der Bundespolizei haben,
bestätigen, dass dort rechtmässig und zweckmässig gearbeitet wird.

Die seit der Fichenaffäre durchgeführten und seither angewandten
Reformen haben nun auch Eingang in das Bundesgesetz über Massnahmen zur
Wahrung der inneren Sicherheit gefunden. Dieses Gesetz, das die Räte im
März 1997 verabschiedet haben, stellt einen indirekten Gegenentwurf zur
S.o.S. Initiative dar.

· Das Gesetz schränkt die präventiv-polizeilichen
Informationsbeschaffungen ein: Sie dienen der Bekämpfung des
Terrorismus, des gewalttätigen Extremismus und des verbotenen
Nachrichtendienstes sowie des verbotetenen Waffen- und
Technologiehandels. Es verbietet ausdrücklich die Beschaffung von
Informationen über die politische Betätigung und die Ausübung der
Meinungs-, Koalitions- und Versammlungsfreiheit, ausser wenn begründeter
Verdacht auf strafbare Handlungen besteht.
· Das Gesetz definiert spezielle Instrumente der politischen Führung,
z. B. die periodische Lagebeurteilung, die Beobachtungsliste und die
Liste der regelmässigen Meldungen.
· Die präventive Polizei verfügt über keinerlei Zwangsmassnahmen, solche
kommen erst nach Eröffnung eines Strafverfahrens in Frage, z. B.
Telefonüberwachungen.
· Die gesammelten Informationen werden auf ihre Richtigkeit und Relevanz
überprüft, dies bei Erhalt und in bestimmten zeitlichen Abständen; alle
Einträge im Informationssystem haben maximale Aufbewahrungszeiten und
werden nachher gelöscht.
· Das neue Gesetz regelt ausführlich die parlamentarische und die
Verwaltungskontrolle und ermächtigt den Bundesrat, Mindestanforderungen
an die Kontrolle in den Kantonen festzulegen.
· Das Gesetz schafft zusätzlich erstmals ausreichende Rechtsgrundlagen
für die Sicherheitsprüfungen in der Verwaltung und in der Armee sowie
für die Massnahmen zum Schutz von Personen und Gebäuden.
· Der Bundesrat orientiert die eidgenössischen Räte, die Kantone und die
Öffentlichkeit jährlich oder nach Bedarf über seine Beurteilung der
Bedrohungslage und über die Tätigkeiten der Sicherheitsorgane des
Bundes.

Gesamthaft betrachtet ist das BWIS von allen Staaten, die ihre geheimen
Dienste regeln, das strengste. Es gibt den Sicherheitsbehörden im
Unterschied zu fast allen Staaten keine Zwangsmassnahmen in die Hand,
schon gar nicht Telefonüberwachungen oder den Einsatz von technischen
Überwachungsgeräten. Damit gehen wir zugunsten der Freiheit der Bürger
nun bewusst ein Risiko ein, das Bundesrat und Parlament aber für
vertretbar halten. Das Gesetz erfüllt als indirekter Gegenentwurf alle
berechtigten Anliegen der Initiative.

Eine Annahme der Initiative wäre verhängnisvoll: Könnte die Polizei erst
in der Form eines Strafverfahrens tätig werden, käme der Staat immer
dann zu spät, wenn es um die Bekämpfung von Terrorismus, gewalttätigem
Extremismus und organisiertem Verbrechen geht. Die Schweiz wäre das
einzige mir bekannte Land, das auf vorbeugende Massnahmen zur
Verhinderung solcher Straftaten verzichten würde. Ein solcher Alleingang
wäre verhängnisvoll. Es ist absehbar, dass die Schweiz zu einem
Tummelfeld ausländischer extremistischer und terroristischer
Gruppierungen und ausländischer Nachrichtendienste würde.

Die S.o.S.- Initiative schiesst daher weit übers Ziel hinaus. Das neue
Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit bringt
demgegenüber erstmals eine klare gesetzliche Regelung des
Staatsschutzes, legt seine Aufgaben und Grenzen fest und bietet damit
Gewähr, dass Missstände nicht mehr auftreten können. Der Bundesrat
ersucht deshalb die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger, die
S.o.S.-Initiative entschieden abzulehnen, damit der zum Schutze der
Freiheiten unserer Bevölkerung unbedingt notwendige Staatsschutz
möglichst bald auf soliden rechtsstaatlichen Grundlagen gestellt werden
kann.