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Die Bundesbehörden der Schweizerischen Eidgenossenschaft

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Jahresprogramm 1998 des Bundesrates/Erklärung von Bundespräsident Koller

Es gilt das gesprochene Wort

Jahresprogramm 1998 des Bundesrates

Erklärung von Bundespräsident Arnold Koller vor der Vereinigten
Bundesversammlung am 2. Dezember 1997

(Anrede)

Auf Wunsch der Büros beider Eidgenössischen Räte verbindet der Bundesrat
die Präsentation des Jahresprogramms 1998 mit einer politischen
Erklärung vor der Vereinigten Bundesversammlung. Das macht in der Tat
Sinn. Denn so hilfreich Jahresprogramme für die politische Planung von
Parlament, Bundesrat und Verwaltung sind und wie sehr sie auch die
Kontrolltätigkeit der Geschäftsprüfungskommissionen beider Räte
erleichtern, laufen sie doch Gefahr, auf eine Addition departementaler
Parlamentsgeschäfte hinauszulaufen, den politischen Gesamtzusammenhang
aus den Augen zu verlieren, ob dem Projektdenken das Prozesshafte aller
Politik zu übersehen und die grossen politischen Leitlinien im Unklaren
zu lassen.

Zunächst ist daher daran zu erinnern, dass sich auch das Jahresprogramm
1998 in die drei Hauptleitlinien der Legislaturperiode 1995 - 1999
einfügt: Stärkung der Gemeinschaft, Stärkung der staatlichen
Handlungsfähigkeit und Stärkung der Wohlfahrt. Diese drei strategischen
Ziele haben immer noch Gültigkeit, und sie werden durch die jeweiligen
Jahresprogramme ständig konkretisiert und vorangetrieben. Nachdem wir
bereits in der Halbzeit der Legislatur stehen und 1999 ususgemäss,
wenigstens im zweiten Halbjahr, ganz im Zeichen der Neuwahlen des
Parlaments stehen wird, wird das kommende Jahr sogar, was die
parlamentarische Arbeit anbelangt, zum Schlüsseljahr für die
Realisierung der Legislaturziele 1995 - 1999.

Was sodann die politischen Prozesse anbelangt, habe ich unserem Land zu
Beginn des Jahres gewünscht, 1997 möge ein Jahr des Aufbruchs werden,
wirtschaftlich, staatspolitisch und ideell.

Wirtschaftlich können wir mit einiger Genugtuung feststellen, dass unser
Land die ihm ungewohnte und deshalb stark verunsichernde sechsjährige
Stagnation nun doch durchschritten hat und sich die Anzeichen einer
wirtschaftlichen Erholung, vor allem wegen eines starken Zuwachses der
Exporte mehren. Das ist auf viele Faktoren zurückzuführen, vor allem auf
die riesigen Anstrengungen unserer privaten Wirtschaft, international
konkurrenzfähig zu sein, aber auch auf die kluge Geldpolitik unserer
Nationalbank und die gute Konjunktur in wichtigen Abnehmerländern. Dazu
beigetragen hat aber sicher auch das seit der negativen EWR-Abstimmung
konsequent vorangetriebene Programm der marktwirtschaftlichen Erneuerung
mit der Einführung der Mehrwertsteuer, den Wettbewerbsrechtsreformen
(Kartell- und Binnenmarktgesetz, Gesetz über das öffentliche
Beschaffungswesen, Gesetz über technische Handelshemmnisse,
Liberalisierungen im Versicherungsbereich), dem Beitritt zur WTO, dem
Swisslex-Paket, dem Investitionsprogramm 97, der Reform der
Unternehmungsbesteuerung und der Teilprivatisierung der Swisscom.

Es wäre allerdings verfehlt zu glauben, wir könnten diesbezüglich nun
die Hände zufrieden in den Schoss legen. Denn einerseits ist der
wirtschaftliche Aufschwung noch wenig gefestigt und kann jederzeit von
nicht beeinflussbaren Faktoren wie dem starken Exportwachstum in
Deutschland, der Finanzkrise im Fernen Osten oder der Einführung des
EURO gefördert, aber auch beeinträchtigt werden. Der Bundesrat will
daher seine Bemühungen um verbesserte wirtschaftliche
Standortbedingungen zusammen mit dem Parlament konsequent weiterführen.
1998 sollen die Rahmenbedingungen für die KMU mit
technologieorientierten, steuerlichen und regulatorischen Massnahmen
verbessert, die Berufsbildung durch die Einführung der Fachhochschulen
gestärkt und die Anstrengungen zur Schaffung von Lehrstellen
weitergeführt werden.

Erneutes wirtschaftliches Wachstum wird auch die Stimmung im Volk
verbessern und damit auch andere Probleme leichter lösen lassen.
Euphorie wäre indessen fehl am Platz. Die Arbeitslosigkeit wird nach dem
Urteil aller Sachverständigen trotz besserer Wirtschaftsaussichten auch
im nächsten Jahr wohl das schwierigst zu lösende innenpolitische Problem
bleiben. Massnahmen zur Sanierung der Arbeitslosenversicherung bleiben
vorrangig. Der Bundesrat wird daher abgestützt auf das Sparprogramm 1998
eine Vorlage unterbreiten, die sowohl einnahmen- als auch
ausgabenseitige Vorschläge enthalten, aber auch dem Abstimmungsresultat
vom 28. September 1997 Rechnung tragen wird.

Unseren vollen Einsatz verlangen dieses und nötigenfalls auch nächstes
Jahr vor allem auch die bilateralen Verhandlungen mit der EU, wohin über
60 Prozent unserer Exporte gehen und woher 80 Prozent unserer Importe
stammen. Mit einem erfolgreichen Abschluss der sieben sektoriellen
Verhandlungsbereiche wahren wir und die EU das gegenseitige Interesse an
substantiellen gleichen Wettbewerbsbedingungen und bauen gleichzeitig
gegenseitige Benachteiligungen ab. Wer wegen der mühsamen Verhandlungen
mit ihren Hochs und Tiefs Gefahr läuft, die Geduld zu verlieren, sollte
bedenken, dass sich die heiklen Fragen des Landverkehrs nicht nur im
Rahmen der bilateralen Verhandlungen, sondern in gleicher Weise auch bei
jeder anderen Form einer besseren Integration der Schweiz stellen
würden, also auch bei einem EWR II und Beitrittsverhandlungen.

Unsere Wettbewerbsfähigkeit wird ferner leiden, wenn wir nicht innert
nützlicher Frist die Finanzierung der Sozialwerke mit den demografischen
Entwicklungen in Einklang bringen und wenn es nicht gelingt, die
Bundesfinanzen zu sanieren. Es ist beeindruckend zu sehen, wie die
Mitgliedstaaten der EU unter dem Damoklesschwert der
Maastricht-Kriterien ihre Finanzen sanieren. Aber auch andere Länder wie
die USA, Kanada, Neuseeland usw. haben einen Trendbruch weg von einer
immer grösseren Verschuldung geschafft. Uns ist dies noch nicht
gelungen. Die Defizitquote wird 1998 sogar auf 3.4 Prozent steigen, was
uns unter den EU-Ländern auf dem zweitletzten Platz rangieren liesse.
Wir sind also auf dem besten Weg vom ehemaligen finanzpolitischen
Musterknaben zum Sorgenkind zu werden. Der Bundesrat ist daher zutiefst
überzeugt, dass sich die Schweiz nicht weiter zulasten künftiger
Generationen verschulden darf, und er ist fest entschlossen, energisch
Gegensteuer zu geben. Er misst deshalb dem Haushaltsausgleich bis ins
Jahr 2001 grösste Bedeutung bei. Als zentrales Massnahmenpaket zur
Erreichung dieses Ziels wird der Bundesrat dem Parlament das
Stabilisierungsprogramm 1998 unterbreiten.

Ein vordringliches Gebiet wird in unserem Land wie in allen
Nachbarstaaten der Bereich der inneren Sicherheit. Sicherheit ist nicht
alles, aber ohne Sicherheit ist alles nichts. Zwar haben Bundesrat und
Parlament in den letzten Jahren mit einer Vielzahl von Erlassen zur
Bekämpfung der Geldwäscherei, des organisierten Verbrechens usw. das
materielle Strafrecht durchaus auf die Höhe der Zeit gebracht. Doch
hapert es beim Vollzug. Hier treffen wir auf allen Stufen unseres
föderalistischen Staates auf das Hauptproblem: Sicherheit gibt es nicht
zum Nulltarif! Es fehlen uns quantitativ (Personal, Finanzen,
Informatik) und qualitativ (Ausbildungsdefizite für moderne
Kriminalitätsformen) die Mittel. Dies ist für die Schweiz wie für unsere
Nachbarstaaten angesichts der rasch zunehmenden Bedrohung vor allem
durch das organisierte Verbrechen aber brandgefährlich. Denn zu den
Kernaufgaben eines jeden Staates gehört die Gewährleistung der
Sicherheit an Leib, Leben und Eigentum. Ohne Sicherheit keine Freiheit,
weder im Alltag, noch im Staat. Zudem laufen wir angesichts der
Realisierung von "Schengen" und des sogenannten dritten Pfeilers von
Maastricht gerade im Sicherheitsbereich Gefahr, zunehmend isoliert zu
werden. Neben "Partnership for Peace" muss "Partnership for Security"
treten.

Wenn wir all dies und weitere hier nicht genannte Punkte des
Jahresprogrammes 1998 miteinander realisieren wollen, dann müssen wir
auch unserer politischen Kultur des konstruktiven Dialogs wieder besser
Sorge tragen. Der Bundesrat ist nach wie vor der Meinung und fühlt sich
in dieser Auffassung durch jüngste kantonale Erfahrungen bestärkt, dass
die politische Konkordanz der grossen politischen Kräfte in unserem Land
der direkten Demokratie am ehesten eine erfolgreiche  Politik
ermöglicht. Eine Erfolgsgarantie bietet aber auch das politische System
der Konkordanz nicht. Auch die Konkordanz ist wie jedes politische
System auf eine entsprechende Kultur angewiesen. Während in weniger
wichtigen Fragen wechselnde Mehrheiten durchaus möglich sind, lassen
sich für das Wohl unseres Landes grosse Fragen wie die europäische
Integration oder die Sanierung der Bundesfinanzen ohne Konsens- und
Kompromissbereitschaft nicht lösen. Der Bundesrat lädt daher gerade in
diesen entscheidenden Landesfragen alle gesellschaftlichen und
politischen Kräfte des Landes, vor allem aber alle Bundesratsparteien zu
einem offenen, konstruktiven Dialog ein. Denn wenn jeder nur an seine
eigene politische Klientel denkt, wird uns der schwierige Durchbruch in
diesen für die Zukunft unseres Landes so wichtigen Fragen nicht
gelingen.

Wenn wir mit den sich beschleunigenden, weltweiten Umwälzungen fertig
werden wollen - ich denke da an die verlagerten Wachstumspotentiale von
Volkswirtschaften, an die gestiegene Mobilität der Produktionsfaktoren,
Kapital und Arbeit, an die atemberaubende Mobilität des neuen vierten
Produktionsfaktors Information, an die besorgniserregende Mobilität der
Kriminalität, an sich integrierende regionale Wirtschaftsblöcke, an die
Neugestaltung machtpolitischer Kräftefelder, an das Wachstum der
Erdbevölkerung in den weniger entwickelten Ländern, an die Verschiebung
der Alterspyramide in den hochentwickelten Ländern, an die
Menschenrechts- und Wohlstandsgefälle zwischen diesen Ländergruppen, an
die Beanspruchung der Umwelt - so muss man der Stärkung der staatlichen
Handlungsfähigkeit und Identität einen ganz besonderen Stellenwert
einräumen. Das gilt umso mehr, wenn man bedenkt, dass auf
internationaler Ebene wirksame Regulatoren dieser Umwälzungen erst
ansatzweise vorhanden sind oder häufig fehlen oder dass die Schweiz sich
von den Entscheidprozessen solcher Regulatoren zum Teil selber
ausgeschlossen hat.

Der Bundesrat misst daher der Verfassungs- und Staatsleitungsreform eine
ganz besondere Bedeutung zu. Deshalb hat der Bundesrat dem Parlament
neben dem Entwurf für eine nachgeführte Verfassung auch Vorschläge für
eine Reform der Justiz und Volksrechte unterbreitet. In diesen beiden
Bereichen ist die Überlastung des Systems und damit die Einschränkung
der Handlungsfähigkeit am grössten. Die parlamentarischen
Verfassungskommissionen haben diese Aufgabe mit beeindruckendem Elan an
die Hand genommen und weitgehend abgeschlossen. Auch bei der
Föderalismusreform sind die Arbeiten zusammen mit den Kantonen weit
fortgeschritten, so dass nächstes Jahr die Vernehmlassung eröffnet
werden kann. Im Rahmen der Verwaltungsreform geht es 1998 darum, die vom
Bundesrat dieses Jahr getroffene Neuorganisation der Departemente weiter
umzusetzen, die transferierten Verwaltungsbereiche in die neuen
Departemente zu integrieren und die damit verbundenen Synergien
auszuschöpfen sowie New Public Management und "Führen mit
Leistungsauftrag und Globalbudget" auf weitere Ämter auszudehnen. Im
kommenden Jahr soll aber auch die Staatsleitungsreform, welche eine
Stärkung und Entlastung des Bundesrates, insbesondere des
Bundespräsidenten, anstrebt sowie die Aufgabenteilung zwischen Exekutive
und Legislative überprüft, entscheidend vorangetrieben werden.

Die Verfassungsreform dient neben der Verbesserung der staatlichen
Handlungsfähigkeit  vor allem der Klärung unserer nationalen Identität.
Wir müssen uns bewusst werden, dass die Frage der Identität der Schweiz
eine eminent staatspolitische Frage ist. Wir dürfen ihr gerade in Zeiten
der Verunsicherung nicht ausweichen. Denn die nationale Identität
begleitet einen Staat nicht einfach als etwas ein für allemal
Erworbenes. Sie steht vielmehr in ständiger Wechselwirkung zu seiner
Geschichte.
Der Bundesrat ist überzeugt, dass das kommende Jubiläumsjahr, 150 Jahre
Bundesstaat, der ideale Zeitpunkt ist, um breit darüber zu diskutieren,
was die Schweiz ist und will. Nicht nur ist der Wille zur Selbstprüfung
erwacht. Mit der Solidaritätsstiftung hat der Bundesrat eine wahrlich
zukunftsorientierte Idee lanciert, die nun konkretisiert und umgesetzt
werden muss. Die mise-à-jour unserer Verfassung ist die beste
Gelegenheit, den staatlichen Grundkonsens zu erneuern und all das zu
bekräftigen, was uns zusammenhält. Denn nur wenn wir das Verbindende
wieder ins allgemeine Bewusstsein rücken, lässt sich in einer Demokratie
der politische Alltagsstreit aushalten. Nutzen wir das bevorstehende
Jubiläumsjahr, um diese Grundsatzdiskussion zu führen.

Meine Damen und Herren National- und Ständeräte

Die Schweiz ist - wie andere Länder auch - im Umbruch. Wir müssen diese
Herausforderung annehmen. HERMANN HESSE hielt 1938 fest: "Die
Eidgenossenschaft ist unter dem Druck der Not entstanden, und hat durch
Jahrhunderte vielen Bedrohungen von aussen und innen standgehalten.
Stets waren die inneren die gefährlicheren, und so ist es heute."
Nutzen wir die Chance des Jubiläumsjahres, um das nächste Jahrhundert
innerlich gestärkt in Angriff zu nehmen.