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Trauerrede von Bundespräsident Koller am Gedenkgottesdienst für die Opfer des Terroranschlages von Luxor

Es gilt der gesprochene Text

Trauerrede von Bundespräsident Arnold Koller
am Gedenkgottesdienst für die Opfer des Terroranschlages von Luxor
Zürich, Grossmünster, am 29. November 1997

Liebe Mittrauernde
"Mitten im Leben sind wir vom Tode umfangen". Auf brutale Weise hat uns
das Massaker von Luxor mit dieser urmenschlichen Wahrheit konfrontiert.
Ich bin hierhergekommen, um allen Betroffenen das tiefempfundene Beileid
der Landesregierung, aller Stände und des ganzen Schweizervolkes zum
unsagbaren Leid auszusprechen, das am Vormittag des 17. November über
Sie gekommen ist. Sie haben Ihren Vater, Ihre Mutter, Ihr Kind,
Verwandte, Freunde oder Nachbarn völlig unerwartet, auf tragische Weise
verloren. Dieser Verlust ist unwiderbringlich. Er war von grauenhaften
Umständen begleitet. Niemand kann die verflossenen Tage der
Ungewissheit, der Verzweiflung, der Erkenntnis des Verlusts, der Wut und
der Trauer ungeschehen machen. Wir alle verneigen uns vor den Toten,
reichen den Angehörigen die Hand, um sie unserer Betroffenheit und
unserer Anteilnahme zu versichern. Und wir schliessen bewusst alle Opfer
von Luxor, unabhängig von ihrer Nationalität und Religion, in unsere
Trauer mit ein.
Ihnen, liebe Trauernde, haben die vergangenen Tage auch gezeigt, dass
das ganze Schweizer Volk Ihr Entsetzen, Ihre Entrüstung und Ihre Trauer
über den Verlust Ihrer Angehörigen teilt. Möge diese Welle des
Mitgefühls und der Mitmenschlichkeit anhalten. Möge Sie Ihnen Kraft
geben, das Unwiederbringliche loszulassen. Möge sie Ihnen Mut geben,
trotz allem Leide wieder mit Zuversicht in die Zukunft zu blicken. Möge
bald wieder Licht in Ihr Leben treten und Sie aus der trostlosen Nacht
des Leids und des Schmerzes befreien.
Das schreckliche Blutbad von Luxor, lässt in uns allen die Frage nach
dem Warum aufkommen. Warum haben die Täter so gehandelt ? Warum haben
sie unschuldige Menschen umgebracht, denen sie zuvor nie begegnet waren
und die ihnen kein Leid angetan hatten? Warum gerade diese Menschen ?
Solche Fragen führen zur unergründbaren Sinnlosigkeit des Bösen. Niemand
kann sie beantworten. Der grosse Kirchenlehrer Augustinus hat das vor
1500 Jahren so ausgedrückt: "Ich fragte nach dem Ursprung des Bösen -
doch es fand sich kein Ausweg."
Als betroffene Mitmenschen stehen wir hilflos an den Gräbern der
unschuldigen Opfer. Das Massaker von Luxor hat uns aber auch als Nation
die Machtlosigkeit vor Augen geführt, vor der wir stehen, wenn Menschen
in blindem Wahn jede Achtung vor dem Leben anderer aufgeben und jede
natürliche menschliche Hemmschwelle fallen lassen.
Es mag politische und soziale Gründe geben, weshalb derartige
Skrupellosigkeit überhaupt entstehen und sich ausbreiten kann. Es müsste
aber von allen guten Geistern, von Herz und Verstand verlassen sein, wer
eine solche Tat irgendwie zu rechtfertigen versuchte.  Nie und nimmer
dürfen wir dem Terror und der Menschenverachtung etwas Gutes und
Heilsames abgewinnen. Nie dürfen wir Gewalt zur Durchsetzung politischer
Ziele dulden.
Auch als staatliche Gemeinschaft sind wir von diesem Gewaltakt nicht
verschont worden. Es ist uns voll bewusst geworden, wie sehr wir als
Einzelne wie als Staat überall mitten in dieser konfliktreichen Welt
stehen.
Wir können die Greueltat von Luxor nicht ungeschehen machen. Aber wir
dürfen sie nicht einfach hinnehmen und zur Tagesordnung übergehen.
Der Bundesrat erwartet daher, dass Präsident Mubarak und die ägyptischen
Behörden das Verbrechen restlos aufklären, damit alle Verantwortlichen
der Gerechtigkeit überantwortet werden. Nicht nur auf Solidarität und
Mitgefühl, sondern auch auf Wahrheit und Gerechtigkeit haben die
Angehörigen der Opfer und die Verwundeten Anspruch.
Der Bundesrat verurteilt schärfstens und bedingungslos jede gewalttätige
Form von Extremismus und Fundamentalismus. Wer auf solch abscheuliche
Weise Leben auslöscht, macht sich zum Feind der ganzen Menschheit. Und
es ist Aufgabe der Staatengemeinschaft, alles Menschenmögliche zu
unternehmen, um die Menschheit von dieser Geissel zu befreien.
Verurteilung und Bekämpfung des Terrorismus alleine genügen indessen
nicht. Als Staat haben wir die Verpflichtung, in unserem ureigenen
Interesse zusammen mit anderen Staaten dazu beizutragen, dass der
Nährboden für soziale Unrast und Ungerechtigkeit beseitigt oder
wenigstens vermindert werden kann und dass die Menschenrechte nicht nur
im eigenen Land, sondern weltweit wirksam geschützt werden.
Als Mitmenschen müssen wir uns für die gleiche Würde aller Menschen, für
mehr Toleranz und für mehr Respekt für die Gefühle und Werte
Andersdenkender einsetzen. Das ist letztlich der wirksamste Damm gegen
Gewalt und jede Form von Fundamentalismus. Denn dem zerstörerischen
Terror können wir letztlich "nur" menschliche Werte entgegensetzen.
Internationale Solidarität ist kein Schlagwort von weltfremden
Idealisten. Die traurige Erfahrung lehrt uns, dass wir Solidarität nicht
nur andern, sondern auch uns selbst zuliebe üben müssen.
Liebe Mittrauernde
Wir sind hier im Grossmünster zusammengekommen, um die Trauer zu teilen.
Unzählbar viele bekannte und unbekannte Mitbürgerinnen und Mitbürger
haben dies in der einen oder anderen Form, zum Beispiel durch den
Eintrag in das im Bundeshaus aufliegende Kondolenzbuch bereits getan.
Auch eine grosse Zahl ausländischer Staatschefs, unter ihnen auch der
ägyptische, haben ihre Bestürzung und Empörung über das Massaker von
Luxor ausgedrückt und den Angehörigen der Opfer ihr Beileid
ausgerichtet. Wir alle spüren, dass unser Land in den letzten Tagen von
einer Welle des Mitgefühls, der Solidarität, der Anteilnahme und
Mitmenschlichkeit erfasst wurde.
Liebe Angehörige
wir wissen nur allzu gut, dass all dies Ihnen die verlorenen Menschen
nicht zurückbringen kann. Aber nehmen Sie es als aufrichtiges Zeichen
unserer Anteilnahme an. Schöpfen wir gemeinsam Kraft aus dem
unbegreiflichen Tod. Beantworten wir Menschenverachtung mit
Menschenfreundlichkeit, hier in unserem eigenen Land und nach Kräften in
der Welt.