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Bericht zu den Grundzügen und Hauptpunkten der 4. IV-Revision: Bundesrat eröffnet das Vernehmlassungsverfahren

Pressemitteilung	2. Dezember 1996

Bericht zu den Grundzügen und Hauptpunkten der 4. IV-Revision: Bundesrat
eröffnet das Vernehmlassungsverfahren

Der Bundesrat hat den Bericht des Eidg. Departements des Innern (EDI) zu den
Grundzügen der 4. IV-Revision zur Kenntnis genommen und in die Vernehmlassung
geschickt. Das Vernehmlassungsverfahren dauert bis zum 20. Februar 1997. Ein
erster Teil der Revision mit Massnahmen zur Kostensenkung sowie einer
Beitragssatzerhöhung soll 1999 in Kraft treten; ein zweiter Teil mit weiteren
Massnahmen, auch einem beschränkten Leistungsausbau, im Jahre 2002. Die 4.
IV-Revision wird zeitlich mit der 6. EO-Revision und der
Mutterschaftsversicherungs-Vorlage verknüpft und in einem finanziellen
Zusammenhang mit diesen Vorlagen behandelt.

Vorrangiges Ziel: Konsolidierung der Invalidenversicherung
Zweck der Invalidenversicherung ist, Leistungen bei eingetretener oder
unmittelbar drohender Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit infolge von
Gesundheitsschäden zu erbringen. Von diesem Auftrag weicht auch die 4.
IV-Revision nicht ab, deren vorrangiges Anliegen es ist, die Finanzen der
Versicherung zu konsolidieren. Ende 1995 beliefen sich die Schulden der IV auf 1,15
Mia. Franken, während sie im Vorjahr noch 805 Mio. Franken betrugen. Angesichts
der Defizite verlangen die Autorinnen und Autoren des Berichts, dass vordringlich
Massnahmen zur Senkung und zur Steuerung der Ausgaben, aber auch zur
Erhöhung der Einnahmen ergriffen werden. Daneben sollen die Leistungen der IV
überprüft, die Aufgaben zwischen IV, Bund und Kantonen entflochten und das
Verfahren vereinfacht werden.
Massnahmen, die rasch umgesetzt werden können, sollen vorgezogen werden. Der
Bericht schlägt deshalb vor, die IV-Revision in zwei Etappen zu verwirklichen.
Weiter soll gemäss einem Beschluss des Bundesrates vom 23. September 1996 die
4. IV-Revision zeitlich mit den beiden Vorlagen 6. Revision der
Erwerbsersatzordnung (EO) und Mutterschaftsversicherung (MSV) verknüpft und
in einem finanziellen Gesamtzusammenhang mit diesen Vorlagen behandelt
werden.

1. Etappe
A. Sparmassnahmen: Auslaufenlassen oder Übertragung spezieller Renten-
arten
Der Bericht nennt als Sparvorschläge unter anderem das Auslaufenlassen der
Zusatzrente für den Ehepartner/die Ehepartnerin sowie der Viertelsrenten.
Entsprechende laufende Renten werden somit weiterhin ausgerichtet, hingegen
entstehen keine neuen Ansprüche mehr. Die Härtefallrenten sollen in das System
der Ergänzungsleistungen überführt werden.
•	Auslaufenlassen der Viertelsrenten
	Der Bericht sieht vor, keine neuen Viertelsrenten mehr zu gewähren.
(Rente bei Invaliditätsgrad von 40 bis 49%; monatliche einfache Rente von
gegenwärtig 243 bis 485 Franken / Ehepaarrente von 364 bis 728 Franken). Von der
Neuerung wären nur neue Rentner/innen betroffen, kein Abbau für bisherige
Rentner/innen.
	Die Einsparungen der IV würden nach Ablauf einer vorzusehenden
Übergangsfrist insgesamt rund 20 Mio. Franken pro Jahr betragen.
•	Auslaufenlassen der Zusatzrente für den Ehepartner/die Ehepartnerin
	von Personen mit einer IV-Rente
	(monatliche Rente von gegenwärtig zwischen 73 und 582 Franken bei
vollständiger Beitragsdauer; betroffen sind nur neue Rentner/innen; kein Abbau
für bisherige Rentner/innen).
	Im Zuge der 10. AHV-Revision, die am 1.1.1997 in Kraft tritt, wird die
Zusatzrente für die Ehefrau in der AHV aufgehoben, in der IV hingegen beibehalten
und gleichzeitig geschlechtsneutral ausgestaltet. Analog zur AHV soll mit der 4.
IV-Revision auch die IV-Zusatzrente aufgehoben werden. Sie ist die letzte
zivilstandsbezogene Leistung im Rentensystem und entspricht nicht dem
Splitting-Gedanken.
	Die Einsparungen der IV würden in den ersten sechs Jahren 74 Mio.
Franken pro Jahr betragen.
•	Die Härtefallrenten
	sollen in das EL-System überführt werden. Das heisst, es wird keine
Verschlechterung für die Betroffenen erwartet.
	Härtefallrente: In Härtefällen (Einkommen, das unter einer bestimmten
Grenze liegt) haben Versicherte bereits bei einem Invaliditätsgrad von 40% bis 49%
Anspruch auf eine halbe statt nur eine Viertels-IV-Rente.

B. Vorschläge für Einnahmenverlagerung von der EO zur IV
Die genannten Sparmassnahmen genügen jedoch nicht, um den Finanzhaushalt
der IV wieder in ein Gleichgewicht zu bringen. Eine vertiefte Analyse der heutigen
finanziellen Situation der IV hat ergeben, dass die Sanierung zwei Ziele haben
muss: die Sicherstellung der langfristigen Finanzierung der laufenden Ausgaben
sowie die Tilgung der aufgelaufenen Schulden der Versicherung. Der Bundesrat ist
der Ansicht, dass die heute überfinanzierte EO einen Beitrag an die Sanierung der
IV leisten solle. Auf diese Weise kann auf die gegenwärtige Wirtschaftslage durch
eine möglichst geringe finanzielle Belastung der Wirtschaft und der Versicherten
Rücksicht genommen werden.
Der Bericht schlägt in diesem Sinne zwei Finanzierungsvarianten vor:
•	Variante 1: Langsamer Schuldenabbau
-	Langsamer Schuldenabbau mit kleinem Kapitaltransfer vom EO-Fonds
zur IV
-	Verlagerung von zwei Lohnpromillen zwischen EO, MSV
(Erwerbsausfallversicherung bei Mutterschaft) und IV während sechs Jahren
-	Durchführung der 6. EO-Revision (ganz oder teilweise)

•	Variante 2: Rascher Schuldenabbau mit minimaler Beitragsbelastung
-	Rascher Schuldenabbau mit höchstmöglichem Kapitaltransfer vom
EO-Fonds zur IV
-	Verlagerung von einem Lohnpromille zwischen EO und IV während sechs
Jahren
-	Eigenständige Finanzierung der MSV
-	Verzicht auf Durchführung der 6. EO-Revision

Beide Varianten beinhalten eine finanzielle Verknüpfung der EO und der IV. Bei der
ersten Variante wird zusätzlich die Möglichkeit einer finanziellen Verschiebung 
von
der EO in die MSV aufgezeigt, wobei die vorgeschlagene Beitragsverschiebung
ausschliesslich zur Finanzierung des Erwerbsausfalls bei Mutterschaft vorgesehen
wird (allfällige andere Leistungsbereiche der MSV würden keinesfalls über
Lohnprozente finanziert). Ein weiterer Unterschied der beiden
Finanzierungsvarianten liegt darin, dass Variante 1 die - vollständige oder teilweise
- Durchführung der 6. EO-Revision in die Berechnungen miteinbezieht, während
Variante 2 diese ausklammert.

C. Beitragssatzerhöhung auf das Jahr 1999
Die Berechnung der künftigen Ausgaben der IV zeigt auf, dass eine Erhöhung des
IV-Beitragssatzes nicht zu vermeiden ist. Daher soll der Beitrag auf den 1. Januar
1999 angehoben werden. Dies bedeutet (unter Ausklammerung von
Beitragsverschiebungen von der EO zur IV):
• Finanzierungsvariante 1:	+3‰, das heisst von heute 1,4% auf 1,7%
• Finanzierungsvariante 2:	+2‰, das heisst von heute 1,4% auf 1,6%

Damit den Ausgaben auch langfristig genügend Einnahmen gegenüberstehen, ist
im Jahr 2005 eine erneute Erhöhung der Einnahmen um umgerechnet 3
Mehrwertsteuer-Promille (Finanzierungsvariante 1) respektive um 5 MWSt-Promille
(Variante 2) erforderlich. 1 MWSt-Promille entspricht umgerechnet rund 0,75
Lohn-Promillen. Sollte die Finanzierung über Mittel der Mehrwertsteuer erfolgen,
wäre vorgängig eine Verfassungsgrundlage dafür zu schaffen.

D. Provisorische Entschuldung
Der Bundesrat hat darüber hinaus beschlossen, einen Vorschlag in die
Vernehmlassung zu geben, wonach per Dringlichkeitsrecht ein Kapitaltransfer und
eine Beitragsverlagerung von der EO zur IV eingeführt würden. Dieser Vorschlag,
der keine Erhöhung des Beitragssatzes vorsieht, würde es nötigenfalls auch
erlauben, die EO zur Finanzierung einer künftigen Mutterschaftsversicherung
beizuziehen. Er würde die Verschuldung der IV nur vorübergehend reduzieren.

2. Etappe
Anpassungen an die Krankenversicherung, Entflechtung und beschränkter
Leistungsausbau
Neben diesen vordringlichen Massnahmen nennt der Bericht als einen weiteren
Revisionsbereich den Verzicht der IV auf die Übernahme der Kosten für
medizinische Massnahmen; diese sollen in Zukunft in den Leistungsbereich der
Krankenversicherung fallen. Die Kostenvergütung bei der Behandlung von
Geburtsgebrechen soll weiterhin durch die IV erfolgen. Die Autorinnen und
Autoren des Berichts schlagen jedoch eine Anpassung des Leistungskatalogs der
IV an denjenigen der Krankenversicherung vor, da sie es als stossend erachten,
dass Versicherte mit einem angeborenen Gebrechen gegenüber solchen mit einem
erworbenen Leiden bevorzugt werden.
In den Bereichen Sonderschulung, Werkstätten und Wohnheime für Behinderte,
Organisationen der privaten Invalidenhilfe sowie Ausbildungsstätten für
Fachpersonal sind die Verantwortung für die Durchführung und die Finanzierung
zwischen Versicherung, Bund und Kantonen mittlerweile in nahezu
unüberschaubarem Masse miteinander verflochten. Eine Entflechtung der
Aufgaben zwischen IV, Bund und Kantonen ist damit ein vordringliches Anliegen
der 4. IV-Revision. Dabei sind allfällige Beschlüsse, die der Bundesrat im Rahmen
des "Neuen Finanzausgleichs zwischen Bund und Kantonen" fasst, zu
berücksichtigen. Weiter sollen im Bereich des Verfahrens die Abläufe vereinfacht
und mit anderen Zweigen der sozialen Sicherheit, insbesondere mit der
Arbeitslosenversicherung und der öffentlichen Sozialhilfe, besser koordiniert
werden.
Schliesslich schlägt der Bericht einen mässigen Leistungsausbau vor. Hierzu
gehören Verbesserungen bei den Eingliederungsmassnahmen, bei den Renten für
Geburts- und Frühbehinderte, die Einführung einer Assistenzentschädigung an
Stelle der heutigen Hilflosenentschädigung sowie die Überprüfung des Systems
der IV-Taggelder.

____________________________________________________

 Verstärkte Steuerungs- und Kontrollinstrumente
Mit der 4. IV-Revision sollen die nötigen Vorkehren für einen gezielten Einsatz 
der
finanziellen Mittel der IV getroffen werden. Gefordert wird die Einführung
wirksamer Steuerungs- und Kontrollinstrumente im Bereich der Beiträge an
Behinderteninstitutionen und Organisationen der privaten Invalidenhilfe sowie von
Massnahmen im Bereich der Tarifierung von Versicherungsleistungen.

Inkraftsetzung auf 1999 und 2002 vorgesehen
Nach der Auswertung des Vernehmlassungsverfahrens wird der Bundesrat
voraussichtlich Mitte 1997 die Botschaft zum ersten Teil der 4. IV-Revision
verabschieden. Das erste Paket mit den kostensenkenden und den
Sanierungsmassnahmen soll - ohne weitere Vernehmlassung - am 1. Januar 1999
in Kraft treten. Die Inkraftsetzung des zweiten Teils der 4. IVG-Revision ist auf 
den
1. Januar 2002 vorgesehen.

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	Presse- und Informationsdienst

Auskünfte:	031 / 322 92 03	Franz Wyss oder
	031 / 322 90 13	Daniela Foffa
	Abteilung Invalidenversicherung
	Bundesamt für Sozialversicherung

Beilage:	Bericht zu den Grundzügen und Hauptpunkten der 4. IVG-Revision