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Ergebnisse der Konsultation zum Bericht Brunner

3003 Bern, 18. August 1998

Presserohstoff

Ergebnisse der Konsultation zum Bericht Brunner

306 Stellungnahmen zum Bericht der Studienkommission für strategische Fragen
(Bericht Brunner) haben klare Aussagen über die künftige Sicherheitspolitik der
Schweiz hervorgebracht. Verstärkte Kooperation mit dem Ausland, flexible und
pragmatische Anwendung der Neutralität, rasche Reform von Armee und
Bevölkerungsschutz - das sind die wichtigsten Trends, die sich aus den
zahlreichen Reaktionen zum Bericht Brunner ergeben.

Die Milizarmee bleibt unbestritten und man spricht sich für eine stärkere
Professionalisierung der Armee und für die Leistung des Militärdienstes an
einem Stück aus. Das Engagement von Blau- und Gelbmützen und die Aufstellung
eines Solidaritätskorps werden von einer Mehrheit der Konsultierten begrüsst.
Hingegen wird ein spezielles Einsatzkorps, besonders von Kantonen und Parteien,
abgelehnt. Schliesslich soll die Bewaffnung der Friedenstruppen zum
Selbstschutz  grundsätzlich möglich sein.

1. Ergebnisse der Konsultation

Kooperation in Europa

Eine ganz grosse Mehrheit will die Zurückhaltung gegenüber internationalen
Engagements ablegen. Bei den drei Auswertegruppen
Kantone/Parteien/Sicherheitspolitische Experten, interessierte Gruppen und
Organisationen sowie Einzelpersonen ergeben sich die gleichen Resultate. Die
Kantonsregierungen äussern sich überwiegend positiv.

Eine kleine Minderheit steht diesen Oeffnungstendenzen skeptisch, teilweise
ablehnend gegenüber. Begründet werden die Vorbehalte unter anderem mit
neutralitätspolitischen Ueberlegungen.

Eine sehr grosse Mehrheit befürwortet ein verstärktes Engagement und erweiterte
Aktivitäten in den Bereichen Katastrophenhilfe, diplomatische Friedensdienste,
IKRK und Entwicklungshilfe.

Eine bilaterale bzw. multilaterale technische Zusammenarbeit in den Bereichen
Satellitenaufklärung und Luftraumüberwachung wird begrüsst.
Die ablehnende Haltung einer sehr kleinen Minderheit wird vor allem mit
finanzpolitischen Ueberlegungen begründet.

Eine Annäherung an den EU-Sicherheitsraum zu suchen und gleichzeitig auch das
innere Sicherheitsdispositiv zu verstärken,  wird von einer grossen Mehrheit
befürwortet.

Umorientierung und Anpassung der Armee

Eine starke Mehrheit spricht sich für eine Reform der Armee aus.
Gefordert wird zuerst ein neues Armeeleitbild. Erst dann könne entschieden
werden, wo und welche Anpassungen vorgenommen werden müssen. Die Forderung nach
der Beibehaltung von Kernkompetenzen wird in einigen Stellungnahmen skeptisch
beurteilt, weil der Begriff Kernkompetenz aus der Wirtschaft übernommen sei und
dafür noch keine anerkannte militärische Definition existiere.

Die Empfehlung, Möglichkeiten für eine direkte Zusammenarbeit mit ausländischen
Partnern im Bereich Raketenabwehr zu prüfen, stösst auf sehr wenig Interesse.
Eine grosse Mehrheit der eingegangenen Stellungnahmen äussert sich trotzdem
positiv zu einer allfälligen Zusammenarbeit.
Die ablehnende Minderheit dieser Empfehlung ist der Ansicht, dass die im
Bericht Brunner dargestellte Raketenbedrohung stark überzeichnet sei.

Einsatzkorps

Die Gruppe Kantone/Parteien/Sicherheitspolitische Experten äussert sich zur
Schaffung eines Einsatzkorps überwiegend ablehnend. Hingegen äussert sich mehr
als die Hälfte aller eingegangenen Stellungnahmen positiv zum Einsatzkorps.

Ein Teil der positiven Stellungnahmen ist der Meinung, das Einsatzkorps sei
besser ausserhalb der Armee anzusiedeln. Knapp die Hälfte der Stellungnahmen
weist auf bereits existierende Verbände (Militärpolizeibataillon,
Festungswachtkorps, Territorialgrenadiere) hin, die - eine entsprechende
Ausbildung vorausgesetzt - die Polizei bei Gefahr schwerwiegender
terroristischer Aktivitäten unterstützen könnten. Bevor ein neues Instrument zu
schaffen sei, solle man die bestehenden Mittel besser bewirtschaften und
koordinieren. Bezweifelt wird zudem, ob überhaupt der politische Wille für die
Bildung eines eigenständigen Einsatzkorps vorhanden sei.

Solidaritätskorps

Eine grosse Mehrheit äussert sich positiv zum Engagement von Blau- und
Gelbmützen und begrüsst den Gedanken, ein Schweizer Solidaritätskorps zu
bilden.
In der Gruppe der Kantone/Parteien/Sicherheitspolitische Experten spricht sich
die Hälfte für die Schaffung eines Solidaritätskorps aus.
Mehrmals wurde aber der im Bericht Brunner gewählte Name des Korps als
ungeschickt bezeichnet.

Unterstützt wird die Empfehlung zur Bewaffnung zum Selbstschutz. Unklar ist,
was der Begriff Selbstschutz an Waffen und Material beinhaltet. Hier gehen die
Meinungen auseinander.

Eine Minderheit lehnt ein zu schaffendes und zum Selbstschutz ausgerüstetes
Solidaritätskorps mit folgenden Argumenten ab: Bewaffnete Schweizer Truppen im
Ausland seien nicht neutralitätskonform und deshalb grundsätzlich abzulehnen.
Die Armee solle sich, nicht zuletzt aus finanziellen Ueberlegungen, auf ihre
Kernaufgaben im Inland beschränken. Die Kommission Brunner fordere ein von Volk
und Ständen abgelehntes Blauhelm-Bataillon unter anderem Namen.

Neutralität

Eine grosse Mehrheit spricht sich für eine flexible und pragmatische Anwendung
der Neutralität aus. Die Neutralität sei als aussenpolitisches Instrument zu
handhaben. Entscheidend sei, wie die Neutralität von der internationalen
Staatengemeinschaft wahrgenommen werde. Die Neutralität dürfe
Friedensförderungsaktionen im Ausland nicht verhindern.

Die Minderheit begründet ihre ablehnende Stellungnahme mit der Gefahr, dass die
Schweiz bei einer Abkehr vom Grundsatz der dauernden Neutralität in
internationale Auseinandersetzungen hineingezogen werden könnte.

Wehrmodelle / Dienstleistungsmodelle

Ueberwiegend positiv aufgenommen wurde die Empfehlung, ein Teil der Angehörigen
der Armee könnte inskünftig den Dienst an einem Stück leisten.

Eine Teilprofessionalisierung der Armee wird grundsätzlich begrüsst. Eine
Mehrheit meint, allfällige Auslandeinsätze sollten ab einer gewissen Stufe
durch Berufskader geführt werden. Insbesondere Milizkreise fragen, inwieweit
sich eine Teilprofessionalisierung auf die Qualität der gesamten Armee negativ
auswirken könnte. Diese Kreise fordern, sich auf das absolute Minimum an
Berufskader zu beschränken. Mehrmals wird betont, dass der bestehende
Finanzrahmen in diesem Bereich keine grossen Neuerungen zulasse.

Zusätzlich äussern sich Einzelne zur Wehr- contra Dienstpflicht. Für eine
Mehrheit davon hat der Militärdienst auch in Zukunft erste Priorität.
Eine sehr kleine Minderheit will bei der nächsten Armeereform die allgemeine
Wehrpflicht zugunsten einer allgemeinen Dienstpflicht, mit der Wahlmöglichkeit
zwischen Militärdienst und Bevölkerungsschutz, aufheben.

Zivilschutz

Eine klare Mehrheit identifiziert sich mit den Vorschlägen der Kommission
Brunner. Sie spricht sich für eine Kompetenzdelegation auf Stufe Kanton aus.
Gesamtverantwortung und Koordination sollen weiterhin auf Bundesebene bleiben.
Die geforderte Kantonalisierung sei bereits mit der Reform 95 vollzogen worden.
Eine Minderheit befürchtet, dass bei einer Kantonalisierung des Zivilschutzes
dessen Qualität je nach den finanziellen Möglichkeiten der einzelnen Kantone
unterschiedlich ausfallen könnte.

Bei der Frage nach einer massiven Reduktion der Bestände halten sich
Befürworter und Gegner die Waage: Die Befürworter stimmen einer allfälligen
Bestandesreduktion zu, wenn dadurch die Kernkompetenz nicht tangiert werde. Die
Gegner einer weiteren Reduktion befürchten, dass damit der Leistungsstandard
sinken könnte. Sie weisen auf den Widerspruch zwischen erhöhter potentieller
Raketenbedrohung und der geforderten Bestandesreduktion, die in
Zivilschutzkreisen mit einem Leistungsabbau gleichgesetzt werde, hin.

Krisenmanagement

Die Frage nach der Schaffung eines verwaltungsunabhängigen Sicherheitsrates
stösst auf wenig Interesse.
Nur eine kleine Mehrheit der eingegangenen Stellungnahmen spricht sich für
einen Sicherheitsrat aus. Betrachtet man nur die Stellungnahmen der
eingegangenen Kantonsregierungen, so fällt auf, dass eine Mehrheit einem
Sicherheitsrat ablehnend gegenübersteht. Allerdings äussert sich nur knapp die
Hälfte der Kantone zu dieser Frage.

Die vorgeschlagene Revision und Erweiterung von Aufgaben und Strukturen des
Nachrichtendienstes wird mehrheitlich positiv beurteilt.

Allgemeine Ueberlegungen zu den Finanzen, der Ausbildung, der Milizarmee und zu
künftigen Rüstungsprogrammen

Eine neue Armee werde unter Umständen sogar teurer als die bisherige zu stehen
kommen. Befürchtet wird, dass das VBS, mit den beabsichtigten
Friedensförderungsprogrammen im Rahmen von PfP und mit den erweiterten Aufgaben
im Bevölkerungsschutz, die Armee 200X nur über massive interne Einsparungen
zulasten der Kernaufgaben Kriegsverhinderung / Verteidigung realisieren könne.

Der nächste Umbauschritt der Armee müsse genutzt werden, um im Bereich der
Ausbildung überlebte Paradigmen (Lehrlinge bilden Lehrlinge aus) konsequent zu
eliminieren und innovativen, effizienten Ausbildungsmodellen den Weg zu ebnen.

Das bewährte Milizsystem müsse beibehalten werden. Die Aufstellung
professioneller Verbände berge die Gefahr einer Zweiklassenarmee.

Bei künftigen Rüstungsprogrammen sei auf kostenintensive Helvetisierungen
soweit als möglich zu verzichten.

***

2. Ergebnisse der Hearings

 Zwischen März und Juni 1998 wurden im Rahmen der Konsultationsphase zum
Bericht Brunner 85 Hearings durchgeführt. Dabei ging es darum zu erfahren, wie
Offiziere, Berufs- und Milizkader, Fachleute und Mitarbeiter der Verwaltung die
möglichen sicherheitspolitischen Entwicklungen aus militärischer Sicht
einschätzen und beurteilen. An den Hearings nahmen 1455 Personen Stellung:

· zu 6 schriftlich abgegebenen Optionen, welche stufenweise von der
Beibehaltung des Status quo bis zum Beitritt zur NATO reichten;
· zu den Eckwerten dieser Optionen, die auf einer Arbeitshypothese basierten,
welche der Armee drei Aufträge - Friedensförderung, Existenzsicherung,
Kriegsverhinderung/Verteidigung - vorgab.

 Die Auswertung der Stellungnahmen ergibt, dass

· eine Autonomie in der Interessenwahrung unter gleichzeitiger enger
Zusammenarbeit mit Teilen eines europäischen Sicherheitssystems am meisten
Zustimmung findet;
· die Beibehaltung des Status quo klar verworfen wird;
· ein Beitritt zur NATO abgelehnt wird.

 Die Analyse im Bereich der Eckwerte zeigt, dass

· die Existenzsicherung für die Zukunft als sehr wichtig betrachtet wird,
gefolgt von der Kriegsverhinderung/Verteidigung und der Friedensförderung;
· die Neutralität einerseits als der am wenigsten wichtige Eckwert bezeichnet
wird, gefolgt von der Kompetenzaufteilung Bund/Kantone; die Neutralität
anderseits jedoch für eine beträchtliche Anzahl der Teilnehmer eine hohe
Bedeutung aufweist.

 Eine weitergehende Analyse zeigt, dass

· die Verbände der ausserdienstlichen Tätigkeit mehrheitlich für eine autonome
Interessenverwahrung mit erweiterter Kooperation im Bereich der
Existenzsicherung votieren und den Beitritt zur NATO klar ablehnen;
· das Berufskader eine weitergehende Kooperation mit Komponenten des
europäischen Sicherheitssystems favorisiert.

Eine Mehrheit der Hearingsteilnehmer ist der Ansicht, dass die gegenwärtige
Armee rasch reformiert werden sollte. Speziell erwähnt wird dabei der Bereich
Ausbildung.

Die Hearings zeigten zudem in einzelnen Bereichen Ausbildungs- und
Informationsdefizite auf. Deshalb scheint es wichtig, Miliz- und Berufskader in
Zukunft gezielt und wiederholt über Themen der Sicherheitspolitik zu
informieren.