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Die Bundesbehörden der Schweizerischen Eidgenossenschaft

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Eröffnung des Management-Forums Davos am 30. Januar 1997

Rede von Bundespräsident Arnold Koller
an der Eröffnung des Management-Forums Davos am 30. Januar 1997

Herr Präsident Schwab,
Herren Staatspräsidenten und Premierminister,
Exzellenzen,
Meine Damen und Herren
Unser Symposium steht unter dem Motto Building the Network Society. Es geht
dabei letztlich um die Frage, ob die heute vorhersehbaren Entwicklungen bei der
Verarbeitung und Übermittlung von Informationen eine Wende bewirken werden, die
vergleichbar ist mit den Folgen der Erfindung des Rades vor 10000 Jahren oder
mit der industriellen Revolution des letzten Jahrhunderts.
Schon heute hat die im Entstehen begriffene Network society das
weltwirtschaftliche Geschehen grundlegend verändert. Regierungen und
Unternehmer orientieren sich daher zu Recht an der Globalisierung der Märkte
und der Produktion. Dieses Schlüsselereignis unseres Jahrzehnts hat den
Unternehmungen neue Chancen eröffnet aber auch neue Konkurrenten gebracht. Die
weltweite Vernetzung von Computern führt zu einer globalen Markttransparenz,
wie sie sonst nur auf einem orientalischen Bazar anzutreffen ist. Der
internationale Wettbewerb erhält damit eine neue Qualität. Informationen über
Güter- und Dienstleistungspreise stehen jedermann, der sich der neuen Werkzeuge
zu bedienen weiss, an jedem Ort der Welt in real-time zur Verfügung. Die
Transaktionskosten werden vernachlässigbar und Firmen können allein durch
virtuelle Präsenz als ernste Konkurrenten lokaler Unternehmen auftreten. Der
gesteigerte Wettbewerb erfasst nicht nur multinationale Unternehmungen, sondern
auch immer mehr Klein- und Mittelbetriebe. Die Globalisierung der Märkte und
die damit verbundenen Umstrukturierungen der Wirtschaft lösen daher auch viele
Ängste aus und verunsichern Bürger und Behörden.
Es gilt, die Chancen der Network Society mutig zu ergreifen, aber auch die
Ängste ernst zu nehmen und ihnen zu begegnen. Politiker, Unternehmer und
Gewerkschafter müssen offen von der Unausweichlichkeit umfangreicher
struktureller Anpassungen sprechen. Wir müssen aber auch zu gemeinsamem Handeln
bereit sein. Denn der Triumph der Globalisierung der Märkte kann nur Bestand
haben, wenn er nicht auf Kosten gemeinsam errungener menschlicher Werte wie
Menschenwürde und Solidarität mit den Schwachen geschieht. Nur so wird die
zweifellos harte Restrukturierung zum dauernden Erfolg, d. h.  zu erneutem
wirtschaftlichem Wachstum, weniger Armut und mehr Wohlfahrt führen,
Globalisierung ist daher nicht nur ein Marktgesetz, sondern gleichzeitig ein
weltweiter Kampf um Werte.
Der intensivierte Wettbewerb und die neuen digitalen Techniken haben dem
Einzelnen zusätzliche Entfaltungsräume eröffnet. Damit werden Ziele, die die
Menschheit seit jeher anstrebt, verwirklicht: mehr Eigenverantwortung, mehr
Raum für Eigeninitiative, mehr Freiheit. Wir haben allen Anlass uns über diese
zusätzlichen Freiräume, der den nächsten Generationen Versprechen und Hoffnung
sind, zu freuen. Der Einzelne bleibt aber Teil des Ganzen, von ihm, von seinen
Kenntnissen und Fähigkeiten, seinem Einsatzwillen und den Werten, für die er
einsteht, hängt letztlich der wirtschaftliche Erfolg des Unternehmens und die
Erhaltung stabiler gesellschaftlicher Verhältnisse ab. Zwischen Globalisierung
der Märkte und dem damit verbundenen erhöhten Wettbewerbsdruck und dem Schutz
menschlicher Werte besteht aber ein offensichtliches Spannungsverhältnis
Ob eine Regierung Kinderarbeit toleriert oder ächtet, ob die Menschenrechte
zuoberst oder in der Mitte einer Wertskala angesiedelt sind, ob das Eigentum
breit gestreut oder einer kleinen Minderheit vorbehalten ist, ob stabile
soziale und politische Verhältnisse herrschen, ob intakte Familienstrukturen
vorhanden sind oder nicht, hat Auswirkungen auf Ihre Investitionsentscheide als
Unternehmer.
Wer allzu kurzfristig denkt und handelt, läuft Gefahr, den Kampf um die
menschlichen Werte zu übersehen. Führt die Globalisierung der Märkte aber zu
einer Ausplünderung unseres Wertesystems kann ihr langfristig kein Erfolg
beschieden sein. Es wäre fatal, wenn der einmalige Triumphzug, den die Freiheit
seit dem Fall der Berliner Mauer weltweit angetreten hat, erneut in der
Unfreiheit als unmenschlich erfahrener Marktgesetze enden würde.
Sie meine Damen und Herren Unternehmer wissen, dass die Globalisierung den
staatlichen Strukturen davonläuft. Ihre Entscheide haben in zunehmendem Mass
gesellschaftspolitische Wirkungen, die bisher in viel stärkerem Masse der
Politik vorbehalten waren. Damit wächst Ihnen eine ständig zunehmende
gesellschaftspolitische Verantwortung zu, der Sie sich nicht entschlagen
können, ohne langfristig die Früchte ihrer eigenen Erfolge zu gefährden. Diese
Spannung zwischen weltweitem Wettbewerb und gesellschaftspolitischer
Verantwortung auszuhalten und einer fruchtbaren Synthese zuzuführen, ist die
grosse kommende Herausforderung der Unternehmer.

In einer sich zur Network Society wandelnden Weltwirtschaft unterliegt
zweifellos auch der Staat - und gemeint ist damit vorab der Nationalstaat -
einem erheblichen Funktions- und Bedeutungswandel. Nicht dass der Nationalstaat
absterben würde. Aber er wird angesichts der Globalisierung der Wirtschaft, dem
Aufkommen von NGOs, von starken Privatisierungsbestrebungen und New Public
Management wieder vermehrt auf seine Kernfunktionen zurückgeworfen. Der
Protektionismus und eine interventionistische Wirtschaftspolitik können nicht
seine Aufgaben sein. Dagegen wird er nach wie vor für innere und äussere
Sicherheit sorgen und den Interessensausgleich jenseits des Marktes
bewerkstelligen müssen, indem er Schwache schützt und Zügellose im Zaum hält
(Röpke). Damit erfüllt er nach innen wie nach aussen eine Friedensfunktion.
Dabei ist unverkennbar, dass diese dem nationalstaatlichen Denken entnommenen
Begriffe und Aufgaben angesichts der heutigen Interdependenz alles Staatlichen
nur in immer engerer internationaler Zusammenarbeit erfolgreich angegangen
werden können. Gerade im Kampf gegen das organisierte Verbrechen  kann nur  in
engster internationaler Zusammenarbeit, in die auch die Wirtschaft
miteinzuschliessen ist, gewonnen werden. Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger
ist heute nicht mehr nur nationalstaatlich zu gewährleisten. Der Staat muss
aber Rechtsgemeinschaft und das heisst Wertegemeinschaft sein und bleiben. Die
Rechtsstaatlichkeit ist der zentrale Garant für die Berechenbarkeit des
Marktverhaltens, ohne welche weder die Globalisierung noch die Network Society
Zukunft habe können.
 Herr Präsident Schwab,
Herren Staatspräsidenten und Premierminister,
Exzellenzen,
Meine Damen und Herren
erlauben Sie mir, bevor ich schliesse, ein Wort in eigener Sache.
Gewisse Verhaltensweisen meines Landes während des zweiten Weltkriegs sind in
letzter Zeit Gegenstand pauschaler Vorwürfe und vielfältiger Kritik geworden:
Regierung, Parlament und Volk  wollen sich dieser Kritik offen stellen. Wir
haben eine unabhängige,  aus eminenten internationalen Experten
zusammengesetzte Historikerkommission eingesetzt und damit bewiesen, dass es
uns mit der Suche nach der Wahrheit, der Aufarbeitung auch der fragwürdigen
Seiten unserer Geschichte ernst ist. Die Schweiz erwartet nun, dass ihr guter
Wille, der Wahrheit und der Gerechtigkeit zum Durchbruch zu verhelfen,
anerkannt wird. Die Schweiz hat ihre Versprechen stets gehalten.
Es ist mir eine grosse Freude, Ihnen als Vertreter des Gastlandes die Grüsse
und besten Wünsche des Bundesrates zu überbringen. Bundesrat und Schweizervolk
freuen sich, dass einmal mehr so viele Politiker und internationale
Wirtschftsführer den Weg nach Davos gefunden haben. Ich wünsche Ihnen bei den
anspruchsvollen Beratungen viel Erfolg.