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Bundesratssitzung vom 3.4.1996: Bilaterale sektorielle Verhandlungen S

Pressemitteilung

Bilaterale sektorielle Verhandlungen Schweiz - EU
Bundesrat beschliesst Anpassung der Verhandlungsmandate

1. Die Resultate der informellen Sondierungsgespräche der vergangenen Wochen
bei der EG-Kommission und in den Hauptstädten der EU-Länder sind ermutigend.
Sie zeigen, dass ein erfolgreicher Abschluss der bilateralen Verhandlungen mit
gewissen Mandatsanpassungen möglich ist. Deshalb hat der Bundesrat an seiner
heutigen Sitzung - und nach Konsultation der Ratspräsidenten, der
aussenpolitischen Kommissionen beider Räte, der Kantone, der Regierungsparteien
und der Sozialpartner - verschiedene Erweiterungen der schweizerischen
Verhandlungsmandate beschlossen. Im Vordergrund stehen dabei die Mandate
betreffend die Personenverkehr sowie den Land- und Luftverkehr.

2. Der Bundesrat ist überzeugt, dass auf dieser Basis ein baldiger
Verhandlungsabschluss mit beidseitig zufriedenstellenden Resultaten möglich
ist, wenn auch die EU ihrerseits im gleichen Bestreben bereit ist, ihre
Positionen in den betroffenen Bereichen anzupassen. Er hat Hans van den Broek,
für Aussenbeziehungen zuständiges Mitglied der EG-Kommission, mit Schreiben vom
heutigen Datum über seine Entscheide informiert.

3. Das Schreiben an Kommissar van den Broek enthält konkrete
Verhandlungsvorschläge und kann im wesentlichen wie folgt zusammengefasst
werden:
In allen Verhandlungsbereichen (Forschung, Technische Handelshemmnisse,
Oeffentliches Beschaffungswesen, Personenverkehr, Handel mit Agrarprodukten,
Landverkehr, Luftverkehr) sind Lösungen zu finden, welche die bis heute
gemeinsam festgestellten Interessen respektieren. In den Bereichen
Personenverkehr sowie Luft- und Landverkehr ist ein Vorgehen in Etappen
vorzusehen.

a) Personenverkehr
Bei Inkrafttreten des Vertrags Inländerbehandlung für EU-Bürger in der Schweiz
und Schweizer Bürger in der EU; eidgenössische Rekurs-Instanz für EU-Bürger.
Nach 2 Jahren gegenseitige Abschaffung des Inländervorrangs (mit Schutzklausel)
sowie jeglicher Diskriminierung in Sachen Kontrolle der Lohn- und
Sozialbedingungen. In den jährlich vom Bundesrat festgelegten Kontingenten
sollen für EU-Bürger indikativ präferentielle Quoten eingeführt werden, welche
im Bedarfsfall schrittweise erhöht werden können; die Schweiz kann jedoch, nach
Konsultation, diese Erhöhungen ablehnen.
Nach 5 Jahren (2+3) Verhandlungen über die Aufhebung der Kontingente für
EU-Bürger und Einführung einer Schutzklausel; kein Automatismus.

b) Luftverkehr
Bei Inkrafttreten des Vertrages Gewährung der 3. und 4. Freiheit (bilaterale
Flüge, z.B. Zürich-Hamburg oder Paris-Genf); einheitliche Aufsicht in
Wettbewerbsfragen.
Nach 2 Jahren Verwirklichung der 5. Freiheit (z.B. Zürich-Hamburg-London).
Nach 5 Jahren (2+3) Verhandlungen über 7. und 8. Freiheit  (z.B. Hamburg -
London resp. Hamburg - Frankfurt).

c) Landverkehr
Ab Inkrafttreten des Vertrages schrittweise gegenseitige Liberalisierung des
Zugangs zum Eisenbahn- und Strassenverkehrsmarkt für Personen und Güter und
Einführung punktueller Verbesserungen, namentlich substantieller
Erleichterungen des Ueberlaufsystems und der Förderung des kombinierten
Verkehrs, sowie Verkürzung des Nachtfahrverbots. Verwirklichung einer
koordinierten Alpenverkehrspolitik: Schrittweise Realisierung der
Kostenwahrheit, Harmonisierung der Emissionsstandards für Fahrzeuge,
Kooperation in Sachen Eisenbahn-Infrastrukturen. Rendez-vous-Prozess mit
schrittweisen Annäherungen z.B. 2001 und 2005 sowie Schutzklausel für den Fall
von Ungleichgewichten.
Ab 2001 Anpassung der Gewichtsbeschränkung in einem oder in mehreren Schritten
an die Normen der EU für alle Transportarten, unter Einhaltung des
Transitabkommens, mit paralleler Annäherung in der Schweiz und der EU an die
Kostenwahrheit durch Erhöhung der Verkehrsabgaben.
Bei Auslaufen des Transitvertrages 2005 Uebernahme des Acquis communautaires
(Gemeinschaftsrechts) durch die Schweiz, sofern die nötigen
Eisenbahn-Alpeninfrastrukuren und eine angemessene Besteuerung des
Strassenverkehrs über die Alpen realisiert werden; Schutzklausel für den Fall,
dass bei der Realisierung dieser Vorhaben Schwierigkeiten auftauchen.

4.Angesichts der Tatsache, dass die meisten technischen
Meinungsverschiedenheiten ausgeräumt und die Redaktion von Vertragstexten in
allen Sektoren weit fortgeschritten ist, sollte es dieser Vorschlag
ermöglichen, bis im Sommer den Abschluss substantieller Verträge in den sieben
Verhandlungsbereichen zu erreichen und sich auf weitere Verhandlungen in
Gebieten gemeinsamen Interesses zu einigen.

5. Der Bundesrat zählt auf die Kooperationsbereitschaft der EU und die aktive
Unterstützung seiner Vorschläge durch die politischen und wirtschaftlichen
Kräfte in der Schweiz. Er ist sich der Befürchtungen bewusst, welche bei
Abschaffung der aus EU-Sicht diskriminierenden Kontrolle der Lohn- und
Arbeitsbedingungen für EU-Bürger hinsichtlich eines möglichen Lohn- und
Sozialdumpings aufkommen können. Er hat deshalb das Bundesamt für Industrie,
Gewerbe und Arbeit (BIGA) beauftragt, mit den Sozialpartnern eurokompatible
Alternativen auszuarbeiten.
Der Bundesrat beauftragt die schweizerischen Unterhändler, die bilateralen
Verhandlungen auf dieser Grundlage fortzuführen und abzuschliessen.

SCHWEIZERISCHE BUNDESKANZLEI
Informationsdienst

Bern, 3. April 1996