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CONFOEDERATIO HELVETICA
Die Bundesbehörden der Schweizerischen Eidgenossenschaft

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Votum von Herrn Bundesrat Arnold Koller,


Es gilt das gesprochene Wort

Votum von Herrn Bundesrat Arnold Koller,
Vorsteher des Eidg. Justiz- und Polizeidepartementes

Ende der achtziger Jahre geriet der schweizerische Staatsschutz in erheblichen
Misskredit.

Dabei muss man aber klar unterscheiden zwischen der grundsätzlichen Frage,
Staatsschutz ja oder nein und der Frage nach der Art und Weise der Handhabung.
Wie Sie wissen, hat schon die PUK EJPD die Notwendigkeit einer im Vorfeld von
Delikten tätig werdenden präventiven Polizei klar bejaht, aber eine
grundlegende Reform der Ausführung verlangt. Der Bundesrat und mit ihm der
Ständerat sind überzeugt, dass wir einen Staatsschutz nach wie vor brauchen.
Ich werde darauf zurückkommen. Aber ebenso klar ist, dass diese Tätigkeit einer
grundlegenden Reform bedurfte und eine einlässliche gesetzliche Regelung
unabdingbar ist. Es darf nicht mehr vorkommen, dass Menschen in grosser Zahl
wegen sogenannt dubioser politischer Aktivitäten ins Blickfeld der
Staatsschützer geraten.

Ueber die Gründe, die zu diesen Auswüchsen geführt haben, ist viel gesagt und
geschrieben worden. Entscheidendes zur Aufarbeitung haben die parlamenta-
rische Untersuchungskommission (PUK-EJPD) mit ihrem Bericht vom 22. 11. 1989
sowie die Professoren Kreis, Kaufmann und Delley mit ihrer Studie Staatsschutz
in der Schweiz (1935 -1990) geleistet. Daneben hat der Bundesrat rasch die zur
Behebung der Mängel nötigen Sofortmassnahmen getroffen. Ich erinnere an die
sogenannte Negativliste vom 19. 1. 1990, die sicherstellte, dass die
Beobachtung der Ausübung politischer Rechte und rechtmässiger politischer
Organisationen eingestellt wurde. Zu erwähnen sind auch die vom Bundesrat
genehmigten Weisungen des EJPD über die Durchführung des Staatsschutzes vom 9.
9. 1992. Diese gilt es nun aus rechtsstaatlichen und demokratischen Gründen
durch das Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit
abzulösen.

Meine Mitarbeiter werden Ihnen in der Folge aufzeigen, was wir bereits geändert
haben und vor allem mit dem Bundesgesetz über die Massnahmen zur Wahrung der
inneren Sicherheit noch rechtsstaatlich einwandfrei regeln wollen. Natürlich
können auch all diese Vorkehren Fehler im Einzelfall nicht verhindern, aber
systematische und dauernde Fehlleistungen dürften heute und in Zukunft nicht
mehr möglich sein.

Ich bin mir bewusst, dass Polizeiarbeit im allgemeinen und präventive
Polizeiarbeit im besonderen sich immer im Spannungsfeld zwischen Effizienz und
Schutz der Persönlichkeit, zwischen den Interessen der Allgemeinheit und des
Staates sowie zwischen den Rechten und Interessen des Individuums bewegt. Nimmt
man Effizienz durchgängig als vorrangiges Kriterium, sind unverhältnismässige
Eingriffe in die Privatsphäre des Bürgers nicht vermeidbar. Wo die absolute
Effizienz herrscht, regiert der Polizeistaat. Erhält der Persönlichkeitsschutz
den absoluten Vorrang, ist der Schutz der freiheitlichen Demokratie gefährdet,
und der Subversion sind Tür und Tor geöffnet. Es ist nun die eminente Aufgabe
des Politikers und insbesondere des Gesetzgebers, das juste milieu zu finden.

Ausgehend von diesem Spannungsfeld ist ein Dreifaches notwendig:

1. Eingehende, möglichst klare gesetzliche Regelung der Staatsschutztätigkeit;
2. die ständige Güterabwägung zwischen den skizzierten Polen des
Spannungsfeldes;
3. politische Führung und Kontrolle.

Was die Rechtsgrundlagen angeht, haben wir uns mit Verordnungen und
departementalen Weisungen beholfen. Hier werden wir eine wirklich befriedigende
Situation erst mit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes über Massnahmen zur
Wahrung der inneren Sicherheit erreichen. Dabei sind wir auf dem besten Weg.
Der Ständerat hat das Gesetz bereits beraten. Derzeit arbeitet die
Rechtskommission des Nationalrates daran.

Die ständige Güterabwägung dürfte Ihnen insbesondere bei den Ausführungen von
Herrn Walpen klar werden. Ganz besonders kommt dies bei der Regelung des
Auskunftsrechts zum Ausdruck.

Politische Führung heisst, dass die politischen Organe wie Parlament, Bundesrat
und Departementsspitze der präventiven Polizei klare Zielvorgaben machen, ihr
sagen, was man von ihr erwartet. Die Politiker, die demokratisch legitimierten
Vertreter des Volkes haben zu bestimmen, was als wirkliche Gefährdung anzusehen
ist und nicht die Polizei. Als besonders wichtiges Instrument der politischen
Führung sei an dieser Stelle lediglich die sog. Beobachtungsliste erwähnt. Als
wichtiges Beratungsorgan in unserem pluralistischen Staat dient die
Konsultative Staatsschutzkommission (KSK). Herr François Gross, Chefredaktor
von Schweizer Radio International und Mitglied der KSK, wird sich dazu äussern.

Politische Führung ist nur bei gleichzeitiger Kontrolle glaubwürdig. Ich darf
behaupten, dass der Staatsschutz heute zu den bestkontrollierten staatlichen
Tätigkeiten gehört. Mein Mitarbeiter und Vizedirektor Martin Keller wird Ihnen
die externen Kontrollen, die parlamentarische eingeschlossen, präsentieren. Der
Chef der Bundespolizei, Herr Urs von Däniken, wird Ihnen die interne
Ueberwachung schildern. Sie werden feststellen, dass wir einen erheblichen
Aufwand betreiben. Nicht zuletzt gehört auch der Datenschutz in einem weiteren
Sinne zur Kontrolle. Der Datenschutzberater des Departementes, Herr Bernard
Werz, wird sich damit befassen.

Nicht gesprochen habe ich von der Notwendigkeit des Staatsschutzes. Nun, dies
ist auch nicht das Thema dieses Anlasses. Nicht das Warum wollen wir Ihnen
darlegen, sondern das Wie. Auch habe ich bisher nicht gesagt, was Staatsschutz
beinhaltet. Zu diesen beiden Punkten zum Schluss aber doch noch folgendes:

Der Staatsschutz oder besser die präventive Polizei beschlägt nicht
irgendwelche Gefährdungen der Demokratie, sondern nur aus der Sicht des Staates
besonders gravierende, nämlich, wie im Artikel 2 des Entwurfs BGWIS aufgezählt,

- den Terrorismus,
- den verbotenen Nachrichtendienst,
- den gewalttätigen Extremismus,
- das organisierte Verbrechen,
- den verbotenen Handel mit Kriegsmaterial,
- den verbotenen Handel mit radioaktivem Material und
- den verbotenen Technologietransfer.

Bei diesen Deliktsarten wollen wir die Gefährdung nicht nur mit den Mitteln des
Strafrechts und der gerichtspolizeilichen Verfahren (repressive Polizei)
bekämpfen, d.h. grundsätzlich nicht nur erst dann tätig werden, wenn das Delikt
bereits begangen wurde oder man den festen und konkreten Verdacht hat, dass ein
solches Delikt begangen werden soll. Nein, man will diesen schweren
Gefährdungen bereits im Vorfeld begegnen, also präventiv; deshalb auch der
Begriff präventive Polizei. Würden wir auf diese Art Polizei verzichten, wie
dies die S.O.S.-Initiative verlangt, so hätte dies voraussichtlich zur Folge,
dass gerichtspolizeiliche Ermittlungsverfahren weit ins Vorfeld verlagert, d.h.
zu einem sehr frühen Zeitpunkt eröffnet würden mit der Konsequenz, dass auch
die einschneidenden prozessualen Zwangsmassnahmen grundsätzlich angeordnet
werden könnten.

Kein mir bekannter Staat verzichtet daher auf präventive Polizei.

Und noch ein letztes Wort zum organisierten Verbrechen. Uns wird von Zeit zu
Zeit vorgeworfen, beim Bund bestünden unklare Kompetenzen, was die Bekämpfung
des OK anginge. Nein, keineswegs; nur machen wir einen Unterschied und eine
organisatorische Trennung, was die Art der Bekämpfung betrifft: die
Kriminalpolizei oder, wenn Sie wollen, die repressive Polizeiarbeit leisten
bisher auf diesem Gebiet ausschliesslich die Kantone und künftig hoffentlich
auch die Zentralstellendienste im Bundesamt für Polizeiwesen. Ueber diese neuen
ZSD werden wir demnächst ausführlich orientieren. Die präventive Tätigkeit,
auch Nachrichtendienst genannt, wird hingegen von der Bundespolizei
wahrgenommen. Eine derartige Trennung, die unter dem Aspekt von Check and
balances auch Vorteile hat, kennen viele Länder.

Und nun wünsche ich Ihnen, aber auch uns einen interessanten Verlauf,
zusätzliche Informationen und vor allem angeregte Diskussionen.