Jurassic Park aus dem Greifensee

Dübendorf, 10.03.2009 - Evolution kann auch sehr schnell ablaufen. So hat die vom Menschen verursachte Überdüngung des Greifen- und Bodensees in den 1970/80er-Jahren dazu geführt, dass eine Wasserflohart innert nur 50 Jahren genetisch verändert und schliesslich verdrängt wurde. Sie ist trotz der heute deutlich besseren Wasserqualität nicht wieder zurückgekehrt. Das haben Forschende der Eawag gemeinsam mit den deutschen Universitäten Frankfurt und Konstanz durch Erbgutanalysen von bis zu 100 Jahre alten Eiern des Wasserflohs nachgewiesen.

Die Evolutionsbiologin Nora Brede ist begeistert. „Wir konnten über 40 Jahre alte Dauereier aus dem Sediment des Greifensees im Labor wieder zu Leben erwecken.“ Das Experiment à la „Jurassic Park“ ist mehr als blosse Spielerei: So kann die Eawag rückwirkend prüfen, welche Wasserflohart 1960 im See dominiert hat oder ob die in den 1970- und 1980er Jahren vorherrschende Art gegenüber Schadstoffen toleranter wurde. Wasserflöhe (Daphnien) gehören zu den Krebsen. Sie können – zum Beispiel bei Nahrungsmangel – Dauereier produzieren, aus denen erst in besseren Zeiten wieder ein lebendiger Organismus heranwächst. Da die Eier in den datierbaren Sedimentschichten sauerstofffrei „eingelagert“ sind, kann ihre Erbsubstanz auch nach über 100 Jahren noch bestimmt werden.

Spannend ist dieses biologische Archiv vor allem deshalb, weil sich die Verhältnisse in den Seen seit 1960 massiv verändert haben. In den 1970/80er-Jahren kam es durch phosphathaltige Waschmittel und die Düngung der Felder zu einem starken Nährstoffüberfluss. Die Algen, darunter auch toxische Cyanobakterien (Blaualgen), vermehrten sich rapide. Sauerstoffarmut führte zu Fischsterben. Jetzt zeigen die Forscher in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins „Proceedings of the National Academy of Sciences“ mit Erbgutanalysen der Wasserfloheier, dass sich die Überdüngung auch auf die genetische Vielfalt ausgewirkt hat. Anfang des 20. Jahrhunderts kam in beiden Seen nur eine Wasserflohart nennenswert vor (Daphnia hyalina). Sie wurde im Lauf der Überdüngung von einer zweiten Art (Daphnia galeata) verdrängt. In den Übergangszeiten vor und nach dem Maximum der Nährstoffeinträge bildeten sich auch Mischformen (Hybriden). Die ursprüngliche Art hat sich aber bis heute nicht mehr zurückentwickelt, obwohl die Seen dank der grossen Anstrengungen in der Siedlungswasserwirtschaft unterdessen wieder viel sauberer geworden sind.

„Das beweist, dass anthropogene Veränderungen, wie die Überdüngung, eine massive und nicht wieder voll umkehrbare Auswirkung auf Tierarten haben können“, erläuterte Nora Brede. Zudem belege das Forschungsprojekt, mit welcher hohen Geschwindigkeit Evolutionsprozesse im Tierreich ablaufen können: „In lediglich 50 Jahren hat sich die Genomstruktur einer Art messbar verändert“, sagt Brede, „das ist erstaunlich, denn dieser Zeitraum ist im Vergleich zur Skala der Erdgeschichte extrem kurz.“

Biologische Archive wie die Dauereier der Wasserflöhe im Seesediment sind eine wertvolle Hilfe, um die Reaktion von Organismen auf Veränderungen ihrer Umwelt zu erforschen. Zusammen mit ihren Partnern nutzt die Eawag daher möglichst viele dieser Chancen, um Abläufe der Evolution zu analysieren und besser zu verstehen. Im Zentrum steht insbesondere die Frage, wie schnell sich Pflanzen und Tiere genetisch an veränderte Temperaturen anpassen, die mit dem globalen Klimawandel einher gehen. 

Bild zum Herunterladen: www.eawag.ch >> Medien

Originalartikel: Brede, N., C. Sandrock, D. Straile, P. Spaak, T. Jankowski, B. Streit & K. Schwenk. 2009. The impact of human-made ecological changes on the genetic architecture of Daphnia species. Proceedings of the National Academy of Sciences USA.

Link zum Originalartikel (free access): http://www.pnas.org/content/early/recent 


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