Schweizer Wappen

CONFOEDERATIO HELVETICA
Die Bundesbehörden der Schweizerischen Eidgenossenschaft

Homepage
Mail
Suche

Entwurf für ein Bundesgesetz über das Bundesgericht (Totalrevision OG)

Pressemitteilung

Organisation und Zuständigkeiten des Bundesgerichts neu geregelt
Vernehmlassungsverfahren zum Bundesgerichtsgesetz wird eröffnet
Der Bundesrat hat das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement
(EJPD) ermächtigt, zum Entwurf für ein Bundesgerichtsgesetz das
Vernehmlassungsverfahren durchzuführen. Das neue Gesetz regelt die
Organisation und die Zuständigkeiten des Bundesgerichts sowie die
einzelnen Rechtsmittelverfahren*. Es soll das Bundesgesetz vom 16.
Dezember 1943 über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG) und
Teile des Bundesgesetzes vom 15. Juni 1934 über die
Bundesstrafrechtspflege (BStP) ablösen. Das Vernehmlassungsverfahren
dauert bis Ende Januar 1998.

Gründe der Reform
Reformbedürftig ist die Bundesrechtspflege* vor allem wegen der
anhaltenden Über-lastung des Bundesgerichts und des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts. Die Überlastung gefährdet nicht nur die
sorgfältige richterliche Prüfung des einzelnen Falles; sie führt auch
dazu, dass zwei besonders wichtige Aufgaben, die ein oberstes Gericht
erfüllen muss, nicht mehr in ausreichendem Masse wahrgenommen werden
können: die Gewährleistung der einheitlichen Rechtsanwendung und die
richterliche Fortbildung des Rechts.
Zusätzlicher Reformbedarf besteht insofern, als das historisch
gewachsene Rechtsmittelsystem* der Bundesrechtspflege zu kompliziert
ist. Ausserdem gibt es im Rechtsschutz einige Lücken, namentlich in
Anbetracht der Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Verschiedene Einzelheiten der Bundesrechtspflege sind in der geltenden
Bundesverfassung festgeschrieben und stehen dadurch einer umfassenderen
Reform auf Gesetzesstufe im Weg. Es handelt sich dabei namentlich um
Direktprozesse (Art. 110 - 112 und 114bis Abs. 4 BV), die
uneingeschränkte Garantie des Zugangs zum Bundesgericht bei
staatsrechtlichen Beschwerden wegen Verletzung verfassungsmässiger
Rechte (Art. 113 Abs. 1 Ziff. 3 BV) und das Verbot der Überprüfung von
Bundesgesetzen (Art. 113 Abs. 3 BV). Ferner enthält die geltende
Bundesverfassung keine Grundlage, um die Kantone in allen
Rechtsbereichen zur Schaffung gerichtlicher Vorinstanzen des
Bundesgerichts zu verpflichten. Der Bundesrat hat deshalb in die
Botschaft vom 20. November 1996 über eine neue Bundesverfassung ein
separates Reformpaket für den Bereich der Justiz aufgenommen (BBl 1997 I
487 ff., 640 ff.). Dieses bildet die verfassungsrechtliche Grundlage für
den vorliegenden Gesetzesentwurf.

Wichtige Neuerungen
Der Entwurf für das Bundesgerichtsgesetz wurde von einer
Expertenkommission ausgearbeitet, welcher Rechtsprofessoren,
Bundesrichter, kantonale Oberrichter, Anwälte und Vertreter der
Bundesverwaltung angehörten. Er wird von einem ausführlichen
Schluss-bericht begleitet. Die wichtigsten vorgeschlagenen Neuerungen
sind:
- radikale Vereinfachung des Rechtsmittelsystems, insbesondere
Einführung je einer Einheitsbeschwerde für die Rechtsgebiete des
Zivilrechts (inkl. Schuldbetreibung und Konkurs), des Strafrechts und
des öffentlichen Rechts;
- Einführung eines Vorprüfungsverfahrens, in welchem Beschwerden, die
gewissen (formellen oder materiellen) Kriterien nicht genügen, ohne
einlässliche Begründung für unzulässig erklärt werden sollen;
- vollständige Integration des Eidgenössischen Versicherungsgerichts in
das Bundesgericht;
- Schaffung eines zentralen Bundesverwaltungsgerichts, das anstelle der
Departemente und Rekurskommissionen über Beschwerden gegen
(erstinstanzliche) Verfügungen von Verwaltungsbehörden des Bundes
befindet;
- Schaffung eines selbständigen Bundesstrafgerichts, dem die
erstinstanzliche Straf-gerichtsbarkeit des Bundes und die
Zuständigkeiten der heutigen Anklagekammer des Bundesgerichts übertragen
werden;
- Verpflichtung der Kantone, als Vorinstanzen des Bundesgerichts
durchgehend richterliche Behörden einzusetzen, wobei diese im Zivil- und
Strafrecht als zweite und obere Instanz zu urteilen haben (sofern nicht
ein Bundesgesetz etwas anderes vorsieht);
- vorfrageweise Überprüfung von Bundesgesetzen und
allgemeinverbindlichen Bundesbeschlüssen, d.h. Befugnis des
Bundesgerichts, im Einzelfall zu prüfen, ob die anwendbaren Bestimmungen
eines solchen Erlasses den verfassungsmässigen Rechten und dem
Völkerrecht nicht widersprechen.
Was die massgebenden Kriterien für das Vorprüfungsverfahren angeht,
hielt sich die Expertenkommission in ihrem Entwurf eng an die Vorgaben
des Bundesrates in Artikel 178a des Verfassungsentwurfs 1996
(Reformpaket Justiz). Die vorberatenden Kommissionen des National- und
Ständerates haben inzwischen jedoch Anträge auf eine andere Formulierung
dieses Artikels gutgeheissen. Insbesondere sind sie der Auffassung, der
Umstand, dass der Ausgang des Streits für eine Partei schwerwiegende
Folgen habe, sei kein taugliches Kriterium für die Gewährleistung des
Zugangs zum Bundesgericht. Um den Beschlüssen der parlamentarischen
Kommissionen Rechnung zu tragen, hat das EJPD zu Artikel 95 des
Gesetzesentwurfs einen neuen Vorschlag ausgearbeitet, der ebenfalls
Gegenstand des Vernehmlassungsverfahrens bildet.
Das Vorprüfungsverfahren bringt - sowohl in der Version der
Expertenkommission als auch in jener des EJPD - eine gewisse
Beschränkung des Zugangs zum Bundesgericht, jedenfalls für
aussichtslose, unzureichend substanzierte oder missbräuchliche
Beschwerden. An einer solche Beschränkung führt, abgesehen von einer
massiven Aufstockung der Richterzahl, kein Weg vorbei, wenn die
chronische Überlastung des Bundesgerichts behoben werden soll. Das
vorgeschlagene Vorprüfungsverfahren wird jedoch von verschiedenen
Massnahmen flankiert, die den Rechtsschutz insgesamt verbessern.
Namentlich wird der Rechtssuchende grundsätzlich jeden Streit vor ein
unabhängiges Gericht tragen können, was heute noch öfters nicht oder nur
in bezug auf einen beschränkten Kreis von Beschwerdegründen möglich ist.
Zudem wird das Bundesgericht künftig auch in Fällen mit niedrigem
Streitwert angerufen werden können, falls sich eine Rechtsfrage von
grundsätzlicher Bedeutung stellt. Insofern besteht ein wesentlicher
Unterschied zu den Beschränkungen des Zugangs zum Bundesgericht, welche
1990 in der Volksabstimmung über eine Teilrevision des OG verworfen
worden sind.

6.  Oktober 1997
EIDGENÖSSISCHES
JUSTIZ- UND POLIZEIDEPARTEMENT
Informations- und Pressedienst

Weitere Auskünfte: Prof. Heinrich Koller, Direktor des Bundesamtes für
Justiz (Tel. 031/322 41 01).
Die Vernehmlassungsunterlagen können gratis bei der Eidgenössischen
Drucksachen- und Materialzentrale (EDMZ), 3000 Bern, bezogen werden
(schriftlich oder per Fax 031/992 00 23).
 Anhang
Rechtsmittel:
Gesetzlich vorgesehene Möglichkeit, einen förmlichen Entscheid, den eine
Verwal-tungsbehörde oder ein Gericht getroffen hat, bei einer oberen
Instanz anzufechten.

Rechtsmittelverfahren:
Vorschriften über die Zulässigkeit von Rechtsmitteln und über deren
Prüfung und Beurteilung durch die zuständige Instanz.

Rechtsmittelsystem:
Gesamtheit der Rechtsmittel, die das Gesetz zur Verfügung stellt. Für
die Wahl des richtigen Rechtsmittels kommt es in der Regel darauf an,
welche Instanz den angefoch-tenen Entscheid getroffen hat, welche
Materie dieser beschlägt und welche Einwände (Rügen) gegen den Entscheid
erhoben werden sollen.
Heute führen vor allem die folgenden Rechtsmittel an das Bundesgericht:
- Berufung (in Zivilsachen)
- Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof (in Strafsachen)
- staatsrechtliche Beschwerde
- Verwaltungsgerichtsbeschwerde
- Rekurs in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen

Bundesrechtspflege:
Erlass von verbindlichen Entscheiden im Einzelfall durch Bundesbehörden
(Verwaltungsbehörden, Kommissionen und Gerichte), sei es in erster oder
in oberer Instanz.