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Die Bundesbehörden der Schweizerischen Eidgenossenschaft

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Historischer Abriss zum Thema Ordnungsdienst


Presserohstoff: vom 30. September 1996

Historischer Abriss zum Thema Ordnungsdienst

Plus jamais ça!

Die drei Worte auf dem Denkstein vor dem alten Palais des Expositions in Genf
ma-chen es der Nachwelt zur hohen Pflicht, eine Wiederholung der betrüblichen
Vorfälle des 9. November 1932 zu verhindern. Die Genfer Regierung, die damals
nur auf ver-hältnismässig geringe Polizeikräfte zurückgreifen konnte, hatte den
Bundesrat um den Einsatz von Truppen zur Aufrechterhaltung der Ordnung ersucht.

Die in unzweckmässiger Gliederung eingesetzten Rekruten wurden von den
Teil-nehmern der nicht bewilligten Demonstration auf der Plaine de Plainpalais
arg pro-voziert, die verantwortlichen militärischen Chefs liessen sich zu einer
Überreaktion hinreissen und das Feuer eröffnen. Am Ende waren 13 Tote zu
beklagen. Alle Betei-ligten zogen die Lehren aus jenen Vorfällen. Sie haben
sich seither nicht wiederholt. Und sie dürfen sich nie mehr wiederholen. Eben:
Plus jamais ça!

Breites Einsatzspektrum

Allein, bei aller Bedeutung der Ereignisse von 1932 sollten diese doch im
Gesamt-zusammenhang gesehen werden: Der Einsatz von Truppen für den
Ordnungsdienst in der Geschichte des modernen Bundesstaates ist als Reaktion
auf verschiedenste Umstände zurückzuführen. Sie reichen von der Beruhigung des
durch einen royali-stischen Putsch aufgewühlten Neuenburg von 1856 über den
Schutz der als Lohn-drücker betrachteten italienischen Gastarbeiter in Zürich
vor xenophoben Ausschrei-tungen 1896 bis hin zur Aufrechterhaltung der
verfassungsmässigen Ordnung wäh-rend des Generalstreiks von 1918.

Vom Generalstreik reicht das Spektrum über den Einsatz anlässlich von
Demonstra-tionen in den durch rechte wie linke totalitäre Einflüsse belasteten
dreissiger und vierziger Jahren bis hin zu dem auf die Sorge um einen besseren
Schutz dieser ein-heimischen Frucht vor der ausländischen Konkurrenz
zurückgehenden Aprikosen-krawall von Saxon im Jahre 1953 und bis zur Bewachung
der Genfer Ostasienkonfe-renz im Jahr danach.

Gewachsene Polizeikorps

Der innere Zusammenhang dieser so verschiedenartigen Einsätze ist durch die
ge-meinsame Orientierung an einem der verfassungsmässigen Bundeszwecke (Artikel
2 Handhabung von Ruhe und Ordnung im Innern) und durch das Prinzip der
Sub-sidiarität gegeben. Insbesondere weil die kantonalen Polizeikorps um
Grössenord-nungen stärker wurden als in der Frühzeit des Bundesstaates, ging
die Notwendig-keit nach Truppeneinsätzen zurück. Ganz verschwand sie freilich
nicht, da der Ver-fassungsauftrag weiterhin bestand, weil die kantonalen
Polizeikorps trotz allem nicht  immer stark genug waren und der Bund über kein
anderes Machtmittel verfügte.

Es ist aus Terminologie-, Abgrenzungs- und Quellengründen unmöglich, eine
allge-mein als solche anerkannte vollständige Übersicht über die
Ordnungsdiensteinsätze unserer Armee vorzulegen. Immerhin steht fest, dass nach
einer Epoche relativ sel-tener Einsätze zu Beginn (weniger als zehn in den
Jahren 1856 bis 1889) - Neuen-burger, Genfer und Tessiner Unruhen, Zürcher
Tonhallekrawall und Tunnelarbeiter-streik am Gotthard gehören dazu - eine Phase
hoher Häufigkeit im Zeichen von Streiks, von sozialen und, durch extreme Kräfte
geförderten, innenpolitisch wie auch aussenpolitisch bestimmten Unruhen folgt.
Zwischen 1890 und 1935 sind zwischen 50 und 60 Einsätze zu registrieren, also
deutlich mehr als ein Einsatz pro Jahr.

Verlagerung zum Assistenzdienst

Diese Epoche wurde, im Zeichen des Schulterschlusses gegen die von
Nationalso-zialismus, Faschismus und Kommunismus ausgehenden Gefahren, durch
eine wie-der bedeutend ruhigere Periode abgelöst, die seit 1936
durchschnittlich wiederum weniger als einen Einsatz pro Jahr aufweist. Der
Charakter des Engagements der Truppe hat sich in dieser jüngsten und noch
andauernden Periode sehr stark zum  Personen- und Konferenzschutz hin
verlagert: Winston Churchills Besuch anno 1946 sowie der Schutz der Genfer und
Waadtländer Konferenzen internationalen Zuschnitts geben diesem Zeitabschnitt
das Gepräge.

Einige der Konferenzen sind mittlerweile in die Weltgeschichte eingegangen:
Ronald Reagan und Michail Gorbatschow leiteten in Genf 1985 den Anfang vom Ende
des Kalten Krieges ein. Die Schweizer Armee sorgte, diskret und subsidiär im
Hinter-grund, mit für eine friedlich-kongeniale Atmosphäre. Heute ist ein guter
Teil der Auf-gaben, welche vor 1995 unter dem Ausdruck Ordnungsdienst
verstanden wurden, in der neuen Einsatzart des Assistenzdienstes aufgegangen.
Geblieben ist der Verfas-sungsauftrag.

Aus Fehlern gelernt

Versucht man, einen naturgemäss vorläufigen und subjektiven Schluss aus der
Ge-schichte des Ordnungsdienstes zu ziehen, so vielleicht den, dass trotz
einzelnen zum Teil in tragischen Folgen mündenden groben Fehlern das Instrument
als Gan-zes seine vielfältigen Aufgaben recht gut gelöst hat. Die
Nichtwiederholung began-gener Fehler lässt einen erfolgreichen institutionellen
Lernprozess vermuten, dessen segensreiche Wirkung durch die Aufstockung der
kantonalen Polizeikorps und eine gewisse Verlagerung der politischen Debatte
von der Strasse weg massiv gefördert worden ist.

Die Eidgenössische Militärbibliothek (EMB), 3003 Bern, stellt Interessierten
gerne leihweise Literatur zum gesamten Themenbereich oder auch zu einzelnen
Einsätzen zur Verfügung. Bestellungen sind, unter vollständiger Adressangabe,
schriftlich erbe-ten.

Dr. Jürg Stüssi-Lauterburg, Chef EMB

Dr. Jürg